Im folgenden wollen wir euch zwei Texte des russischen Revolutionärs Georgi Walentinowitsch Plechanow zum Selbststudium ans Herz legen. Außerdem geben wir euch auch einen kurzen Überblick über sein Leben und Wirken.
Der russische Sozialdemokrat Plechanow war eine der ersten Persönlichkeiten, der die bürgerliche und kleinbürgerliche anti-zaristische revolutionäre Bewegung Russlands in Verbindung mit dem westeuropäischen Marxismus brachte. Zu Beginn seiner politischen Tätigkeit selbst Anhänger der Volkstümlerbewegung, die der Illusion nachgingen, dass die russische Bauernschaft die wichtigste Klasse im anti-zaristischen Kampf sei, ging Plechanow im Exil auf die Seite des revolutionären Marxismus über.
Als Mitglied der Gruppe „Befreiung der Arbeit“, stellte seine Tätigkeit ein Eingangstor für die westeuropäischen theoretischen Errungenschaften des Marxismus nach Russland da. Über etwa sieben Jahre war Plechanow ein enger Kampfgefährte des jungen Lenin, bis er sich nach dem II. Parteitag der SDAP(R) den Menschewiki de facto anschloss, in dem er ihren Mitgliedern – unter anderem Leo Trotzki – Zugang zu den wichtigsten zuvor mit Bolschewiki besetzten Parteiorganen verschaffte, die daraufhin in der Revolution 1905 gegen den Kampf für eine Arbeiter- und Bauernregierung auftraten, und auf die Notwendigkeit der bürgerlichen Herrschaft beharrten.
Dennoch bleiben Plechanows Verdienste in der Verbreitung des Marxismus wertvoll und Lenin nannte sie nicht umsonst „das Beste in der ganzen internationalen marxistischen Literatur“ zu diesem Thema.
Besonders hervorzuhaben sind dabei die Werke „Zur Frage der Entwicklung der monistischen Geschichtsauffassung“ und „Zur Rolle der Persönlichkeit in der Geschichte“, die letztlich im Zarismus als legale Schriften herausgegeben wurden. Der Autor vermied aus diesem Grund die Benutzung von verschiedenen Begriffen. Der Marxismus und die MarxistInnen werden beispielsweise als „Schule“ und „Schüler“ bezeichnet.
Zur Frage der Entwicklung der monistischen Geschichtsauffassung
Das erstgenannte entwickelt auf etwa 300 Seiten ausführlich die Grundsätze des historischen Materialismus. Das Werk ist etwa in der Mitte zwei geteilt, in einem ersten Teil werden die philosophischen Auffassungen und ihre Entwicklung dargestellt, an die Marx und Engels bei der Entwicklung des historischen Materialismus anschließen konnten. Nacheinander werden die frühen französischen Materialisten, die sozialistischen Utopisten und Hegel als der wichtigste Vertreter, als Krönung des deutschen Idealismus behandelt. Es wird greifbar und verständlich, dass der Marxismus eben kein Ideengerüst, dieses oder jenen großen Mannes war, sondern dass er so wie Lenin schrieb das Beste, was die englischen Ökonomen, die französischen Sozialisten und die deutschen Philosophen hervorgebracht hatte vereinigte und weiterentwickelte. Sowohl die philosophischen Errungenschaften der ersten englischen MaterialistInnen wie Locke und Hume, als auch die der französischen utopischen Sozialisten und Hegels werden verständlich.
Der zweite Teil macht Plechanows Werk zu dem, was er selbst ein „polemisches Werk“ (Vorwort zur 2. Auflage) nannte. Er verteidigt die Grundsätze des historischen Materialismus gegen die Angriffe verschiedener russischer Anhänger der Volkstümlerbewegung (Narodniki). Obwohl die Polemik mit diesen im Weltmaßstab eher unbedeutenden und kleinen Lichtern der Philosophie und der Geschichte einerseits verhindert, dass Plechanow eine lehrbuchhafte Darstellung des Themas liefert, stellt sie andererseits eine der größten Stärken des Werks dar. Die Einwände gegen den Marxismus insbesondere gegen den historischen Materialismus wiederholen sich, und den heute handelsüblichen Kritikern des Marxismus – im Gebiet der Soziologie zum Beispiel – ist im Kern wenig über das hinaus eingefallen, was die Widersacher Plechanows und Anhänger der „subjektiven Soziologie“ schon vor über hundert Jahren zu sagen wussten.
Plechanow ist insbesondere gezwungen auf einen Typ von Angriffen immer wieder zu antworten, der Verfälschung des historischen Materialismus zu einer mechanischen Karikatur seiner selbst, die dann natürlich kinderleicht „widerlegt“ werden kann. Auf diese Weise haben aber auch wir die Gelegenheit zu einem umfassenderen Verständnis des historischen Materialismus zu gelangen, als nur durch ein Studium von Schriften wie „Ludwig Feuerbach und der Ausgang der klassischen deutschen Philosophie“ oder Engels „Anti-Dühring“ und selbst das Tappen in mechanische Fallen bei der Anwendung des dialektischen Materialismus auf die Analyse der Gesellschaft zu vermeiden.
„Zur Frage der Entwicklung der monistischen Geschichtsauffassung“ ist somit besonders empfehlenswert für alle, die sich schon erste Kenntnisse im historischen Materialismus erarbeitet haben und sie vertiefen wollen.
Den Text zum lesen findet ihr unter anderem hier.
Zur Rolle der Persönlichkeit in der Geschichte
Einen ganz ähnlichen Zweck verfolgt Plechanows Werk „Zur Rolle der Persönlichkeit in der Geschichte“. Auch hier setzt er sich allerdings nur in einer kleineren Broschüre von etwa 50 Seiten mit „KritikerInnen“ auseinander, die dem Materialismus vorwerfen er führe dazu, dass man überzeugt von der objektiven Notwendigkeit der Prozesse, die Menschen statt zur Aktivität zur Passivität anstifte.
Er erklärt deutlich, dass die Geschichte von Menschen gemacht wird und, dass die Behauptung, die Menschen und einzelne Persönlichkeiten würden keinen Einfluss auf den Verlauf der Geschichte haben, deswegen theoretisch ebenso falsch ist, wie zu behaupten, die Geschichte würde von großen Männern gemacht und folge keinerlei objektiven Gesetzmäßigkeiten. Der Mensch spielt bei ihm bewusst oder unbewusst die Rolle des Vollstreckers der objektiven Notwendigkeit, die sich auch nur vermittelst der Menschen durchsetzen kann.
Plechanows Erläuterungen zur Stellung der einzelnen Persönlichkeit in der Gesamtheit der gesellschaftlichen Verhältnisse sind sehr hilfreich zur Auseinandersetzung mit allen idealistischen GeschichtswissenschaftlerInnen, die die Geschichte gerade in den Kapiteln, die den unmenschlichen Charakter des Kapitalismus am deutlichsten offenbaren, als Häufung von Zufällen oder Werk „großer Männer“ darzustellen versuchen.
Das bekannteste Beispiel ist wohl der deutsche Faschismus, der mal mehr mal weniger mit dem persönlichen Wahnsinn Hitlers erklärt wird, statt mit dem Wahnsinn, der in der Krisenhaftigkeit und Widersprüchlichkeit der kapitalistischen Produktionsverhältnisse liegt.
Auch dieses Werk kann also zur Vertiefung der Kenntnisse des historischen Materialismus dienen und es dient gleichzeitig als Appell an jene, die Einsicht in die gesellschaftliche Notwendigkeit, dass der Kapitalismus untergehen und durch den Sozialismus abgelöst werden muss, gewonnen haben, ihre Bemühungen zu verstärken und frei von allen Vorurteilen und bürgerlichen Hemmnissen gerade darauf hinzuarbeiten, sich somit zum bewussten Ausdruck der Notwendigkeit zu machen. Dies ist bei Plechanow der Weg jeder/s KommunistIn zu einer wirklich freien Persönlichkeit.
Den Text zum lesen findet ihr unter anderem hier.