Aus: Klassenkampf #3
Zur historischen Bedeutung der Bäuer:innenfrage in der kommunistischen Bewegung
Die Bäuer:innenfrage hat in der Geschichte der kommunistischen Bewegung immer eine zentrale Bedeutung für die revolutionäre Strategie und Programmatik gespielt. Im 19. und 20. Jahrhundert lebte und arbeitete der überwiegende Teil der Bevölkerung in vielen europäischen Ländern noch auf dem Land. So war es auch in Deutschland, in dem sich schon im 16. Jahrhundert ein Teil des Bauernkriegs abgespielt hatte. Karl Marx sah die Bäuer:innenschaft 1856 in einem Brief an Friedrich Engels als eine entscheidende Reserve im Kampf um die sozialistische Revolution an: „The whole thing in Germany wird abhängen von der Möglichkeit, to back the Proletarian revolution by some second edition of the Peasants’ war. Dann wird die Sache vorzüglich.“1 Der erste Anlauf zur Schaffung des Sozialismus in Deutschland beinhaltete nach 1945 eine große Bodenreform und später die Kollektivierung der Landwirtschaft in der DDR. Die beiden weltgeschichtlich bedeutendsten Revolutionen des 20. Jahrhunderts, nämlich in Russland (1917) und China (1949), wurden neben den Arbeiter:innen von den Bevölkerungsmehrheiten der Bäuer:innen in beiden Ländern getragen. Das Bündnis zwischen Arbeiter:innen und Bäuer:innen, für das die Kommunist:innen kämpften, fand seinen Ausdruck im Symbol von Hammer und Sichel.
Wie ist es aber heute? Die Geschichte und Bedeutung der Bäuer:innenfrage wie überhaupt des ländlichen Raums scheint für die heutige kommunistische und politische Widerstandsbewegung in Deutschland mit wenigen Ausnahmen ein loser Faden zu sein. Dies hat sich insbesondere rund um die letzten großen Bäuer:innenproteste Anfang 2024 gezeigt, zu denen es vielen politischen Kräften schwer fiel, sich konkret zu positionieren, sofern unter ihnen überhaupt ein Hahn danach gekräht hat. Die Unklarheit beginnt häufig schon bei der Frage, ob es heute in Deutschland überhaupt noch Bäuer:innen in dem Sinne gibt, wie sie früher in kommunistischen Programmen auftauchten. Ist die Landwirtschaft heute nicht vielmehr durchgehend kapitalistisch, und es gibt dort keine Bündnispartner:innen mehr für die Arbeiter:innen? Welche Haltung sollten wir dann aber gegenüber den Bäuer:innenprotesten einnehmen, wenn diese wieder aufflammen?
Um diese Fragen zu klären, analysieren wir im folgenden die heutigen Klassenverhältnisse in der deutschen Landwirtschaft. Wir beginnen mit einer Darstellung der Bäuer:innen und ihrer historischen Entwicklung als Klasse, bevor wir die agrarische Betriebslandschaft und ihre Arbeitskräfte anhand aktueller Statistiken und Studien untersuchen. Dabei fokussieren wir uns auf die Frage, wer heute die Landarbeit verrichtet, und stellen dar, dass sich diese Gruppe in Bäuer:innen, nämlich Familienarbeitskräfte als Selbstausbeuter:innen im eigenen Betrieb, sowie Landarbeiter:innen unterteilt. Wir untersuchen die Frage, inwiefern es sich bei den Eigentümer:innen der landwirtschaftlichen Betriebe noch um eine eigene Klasse handelt. Dabei berücksichtigen wir die großen regionalen Unterschiede in der landwirtschaftlichen Betriebsstruktur, vor allem zwischen Ost und West. Wir nehmen eine Einschätzung der Bäuer:innenproteste vor und gehen der Frage nach, auf welche Klassenkräfte sich die kommunistische Bewegung heute auf dem Land stützen muss. Zum Ende stellen wir einige Thesen zur kommunistischen Landwirtschaftspolitik zur Diskussion.
1) Die Bäuer:innenschaft in Deutschland und ihre historische Entwicklung
Unter Bäuer:innen verstehen wir im allgemeinen landwirtschaftliche Produzent:innen. In vielen kapitalistischen Ländern bilden diese eine eigene kleinbürgerliche Zwischenklasse zwischen Bourgeoisie und Proletariat, insofern sie einfache Warenproduzent:innen mit dem charakteristischen Merkmal der Bindung an den Boden sind: Einfache Warenproduzent:innen zu sein bedeutet, sie produzieren selbst ihre Waren und beschäftigen keine Lohnarbeiter:innen. Die Bindung an den Boden setzt nicht unbedingt Eigentum am Boden voraus, sondern nur seine Nutzung, z. B. als Pächter:in.
Diese Zwischenklasse hat sich in Europa historisch aus der Feudalgesellschaft entwickelt. Im Feudalismus gehörte der Boden den Feudalherr:innen, zu denen die Bäuer:innen, die etwa 80-90 Prozent der Bevölkerung ausmachten, in einem persönlichen Abhängigkeitsverhältnis standen, d.h. sie waren damals noch keine einfachen Warenproduzent:innen. Vielmehr waren sie an den Boden des Feudalherr:innen gebunden und mussten darauf für ihn arbeiten (Frondienst) bzw. Abgaben aus den Erträgen an ihn leisten, die sie auf selbst bewirtschaftetem Land eingefahren hatten (Naturalabgaben). Im Zusammenhang mit der Entwicklung der Städte und des Handwerks und des wachsenden Bedürfnisses der Feudalherr:innen nach Geld gingen die Naturalabgaben der Bäuer:innen langsam in Geldabgaben über und je nach Land verwandelten sich leibeigene Bäuer:innen in freie Pächter:innen, z. B. im 14. Jahrhundert in England2. Dort wurden sie jedoch von den Feudalherr:innen in den nächsten 150 Jahren zu großen Teilen von den Böden verjagt, verschwanden als eigene Klasse und verwandelten sich in Proletarier:innen, während aus den Feudalherr:innen kapitalistische Großgrundbesitzer:innen wurden.
Dort, wo die Bäuer:innen fortbestehen und auf den Böden bleiben, wachsen sie mit der Entwicklung des Kapitalismus in diesen hinein und werden zunächst als einfache Warenproduzent:innen Selbstausbeuter:innen von sich und ihren Familien, bevor sie auch familienfremde Lohnarbeiter:innen einsetzen und sich damit in Kapitalist:innen verwandeln. Das Merkmal des Vorherrschens der Selbstausbeutung verbindet sie mit vielen Handwerker:innen, Ladenbesitzer:innen und anderen Teilen des Kleinbürger:innentums, zu dem sie damit ebenfalls zählen. Auch als Kapitalist:innen behalten sie in Teilen ihren historisch geerbten Charakter als Zwischenklasse bzw. Übergangsform, denn die dominierende Rolle der Selbstausbeutung besteht fort, die Karl Marx (1818-1883) bezüglich der Bäuer:innen und Handwerker einmal wie folgt zusammengefasst hat:
„Der unabhängige Bauer oder Handwerker wird in zwei Personen zerschnitten. Als Besitzer der Produktionsmittel ist er Kapitalist, als Arbeiter ist er sein eigner Lohnarbeiter. Er zahlt sich also sein Salair als Kapitalist und zieht seinen Profit aus seinem Kapital, d.h., er exploitiert sich selbst als Lohnarbeiter und zahlt sich in dem surplus value den Tribut, den die Arbeit dem Kapital schuldet. Vielleicht zahlt er sich noch einen dritten Teil als Grundbesitzer (Rente) …“ 3
Diese Besonderheit besteht beim größten Teil der noch verbliebenen Bäuer:innen in Nord-, West- und Süddeutschland in unterschiedlichem Maße bis heute fort, wie wir im zweiten Abschnitt genauer sehen werden. In Ostdeutschland dagegen hat die Bäuer:innenschaft aufgrund der historischen Besonderheit der Kollektivierung der Landwirtschaft in der DDR weitestgehend aufgehört zu existieren und ist kapitalistischen Agrargroßbetrieben gewichen.
Kurzer geschichtlicher Abriss
Die Landwirtschaft hat in den Gebieten, die heute zu Deutschland gehören, je nach Region immer schon große Unterschiede aufgewiesen. Ausschlaggebend dafür sind
- geographische Verschiedenheiten z. B. zwischen Bergregionen und Flachland,
- die jeweilige Bodenbeschaffenheit,
- die geschichtliche Entwicklung wie auch unterschiedliche Traditionen der Erbteilung im Feudalismus: Während in der Nordhälfte des heutigen Deutschlands überwiegend das Anerbenrecht, also der Übergang des ungeteilten Landes an einen einzigen Erben vorherrschend war, wurden Ländereien vor allem im Südwesten (etwa ab der Pfalz, Hessen und Thüringen) in der Regel auf die Erben aufgeteilt und damit in immer kleinere Stücke zerlegt (Realteilung). Dies trug zur Verarmung der dortigen Landbevölkerung und der heutigen Vorherrschaft von Nebenerwerbslandwirtschaften in Süddeutschland bei.
Historisch haben neben den Feudalherr:innen auch die Kirchen einen großen Teil des Landes in Deutschland besessen. Dies setzt sich bis heute fort, auch wenn keine aktuellen und genauen Zahlen dazu bekannt sind, weil es in Deutschland keine offizielle statistische Erfassung der Verteilung des Grundbesitzes (sowie überhaupt des Eigentums) gibt. Gemäß der letzten wissenschaftlichen Untersuchung hierzu von 1974 (in Westdeutschland) gehörten den Kirchen 4 Prozent des Grund und Bodens. Die größten Adelshäuser wiederum besaßen knapp 1 Prozent des Waldes4.
Der Süden und die Mitte Deutschlands sowie weitere benachbarte Regionen Europas wurden 1524/25 zum Schauplatz des Bauernkrieges, einer der ersten großen Erhebungen der unterdrückten Klassen im Feudalismus. Der Bauernkrieg endete zwar mit der Massakrierung zehntausender Bäuer:innen und anderer Aufständischer durch die Fürsten, verbesserte jedoch langfristig die rechtliche Stellung der Bäuer:innen und legte damit letztlich die Saat für die spätere Abschaffung der Leibeigenschaft5.
Die Bäuer:innenbefreiung in Westeuropa ging schließlich von der Französischen Revolution von 1789 aus. Nachdem die Revolutionär:innen in Frankreich die Feudalordnung umgepflügt und die Aufhebung der Leibeigenschaft durchgesetzt hatten, trug Napoleon Bonaparte (1769-1821) sie mit seinen Armeen und seinem bürgerlichen Gesetzbuch („Code Civil“) in andere Teile Europas und so auch nach Deutschland. In den französisch besetzten Gebieten links des Rheins wurden die Bäuer:innen am konsequentesten persönlich frei und rechtlich gleichgestellt. Die mit Napoleon verbündeten Rheinbundstaaten wie Bayern, Baden und Württemberg hoben die Leibeigenschaft ebenfalls auf und verwandelten feudales in privates Eigentum, wenn sich die praktische Umsetzung der Bäuer:innenrechte auch vielfach über mehrere Jahrzehnte erstreckte.
Preußen wiederum schaffte nach der Niederlage gegen die französische Revolutionsarmee mit den Stein-Hardenbergschen Reformen ab 1807 de jure die Erbuntertänigkeit ab und ermöglichte es den Bäuer:innen, sich von Frondienst und Abgaben an die Gutsherr:innen freizukaufen. Dies geschah jedoch häufig um den Preis der Aufgabe ihres Landes, sodass östlich der Elbe eine große Klasse landloser Bäuer:innen und Landarbeiter:innen entstand, die sich nur dadurch unterscheiden, dass die letzteren niemals auf eigenem Land gearbeitet haben. Der größte Teil des Bodens verblieb derweil bei den Großgrundbesitzer:innen (Junkern), die ihre Güter langsam in kapitalistische Großbetriebe umwandelten6.
Das Zusammenspiel von preußischer Landwirtschaftsentwicklung im Osten, Erbteilung im Süden und dem Entwicklungsgang des Kapitalismus in allen Teilen Deutschlands führte bis ins frühe 20. Jahrhundert zur Entstehung einer großen agrarischen Überbevölkerung und Landarmut der Bäuer:innen. 1933 arbeiteten 9,3 Millionen Menschen in Deutschland in der Landwirtschaft, was 14 Prozent der Bevölkerung und 29 Prozent der gesamten Arbeitskraft entsprach7. 7000 Gutshöfe mit einer Größe von über 500 Hektar (ha) kontrollierten fast 25 Prozent des gesamten Ackerlandes, während die kleinsten 2,26 Millionen Bauernhöfe sich ein Fünftel der Bodenfläche teilten und um ihre Existenz kämpften8. Hinzu kam, dass die Landbevölkerung damals noch überwiegend in äußerst primitiven Verhältnissen z. B. ohne Strom und fließendes Wasser lebte.
Die Kommunistische Partei Deutschlands (KPD) widmete sich ab Mitte der 1920er Jahre vermehrt der Bäuer:innenfrage, so etwa 1926 in einer Kampagne zur Enteignung der ehemaligen Fürstenhäuser. Darin forderte sie die Übergabe der zu enteignenden Ländereien an Genossenschaften der Kleinbäuer:innen, Pächter:innen und Landarbeiter:innen9. In der „Programmerklärung zur nationalen und sozialen Befreiung des deutschen Volkes“ von 1930 erklärte die Partei, sie werde „die Herrschaft der Großgrundbesitzer brechen“, „ihren Grund und Boden entschädigungslos enteignen und den landarmen Bäuer:innen übergeben“, „Sowjetgüter mit modernstem Maschinenbetrieb schaffen“, „die Arbeitsbedingungen des Landproletariats denjenigen der städtischen Arbeiterschaft gleichsetzen und viele Millionen Bäuer:innen in den Aufbau des Sozialismus einbeziehen“10. Dabei orientierte sie sich stark an der Bäuer:innenpolitik in der Sowjetunion.
Die faschistische NSDAP wiederum griff die Bäuer:innenfrage auf, um sie mit dem rassistischen Mythos einer bodenverbundenen germanischen Rasse zu verbinden und damit ihr Programm einer Eroberung weiter Teile Osteuropas zu untermauern. Die überschüssige deutsche Landbevölkerung sollte nach den Plänen von SS und „Blut-und-Boden“-Ideologen die Masse der Siedler:innen für die Kolonisierung von Polen und der Sowjetunion stellen. Bäuer:innen wurden im „Reichsnährstand“ zusammengefasst, der die landwirtschaftliche Produktion und die Preise kontrollierte. Auf der Grundlage des „Reichserbhofgesetzes“ vom September 1933 wurden Höfe zwischen 7,5 und 125 ha vor Pfändung geschützt, für unveräußerlich und unbelastbar erklärt, durften nur noch Menschen „deutschen und stammesgleichen Blutes“ gehören und bei der Vererbung nicht mehr aufgeteilt werden11. Die Idee hinter dieser Politik war es, im Deutschen Reich langfristig nur noch existenzfähige Höfe mittlerer Größe zu erhalten und kleinere zusammenzufassen. Dies sollte die Grundlage für einen neuen deutschen „Bauernstand“ schaffen. Im Gegenzug sollten hunderttausende Familien in die eroberten Gebiete umgesiedelt werden, um dort neue landwirtschaftliche Betriebe aufzubauen. Der Reichsnährstand argumentierte, dass Deutschland 7 bis 8 Millionen zusätzliche Hektar Land benötige, um seine Bevölkerung autark zu ernähren und den Krieg zu gewinnen12.
Bekanntermaßen fanden die Eroberungspläne der Nazis vor den Toren von Moskau und in Stalingrad ihr Ende, Deutschland verlor den Zweiten Weltkrieg und wurde nach 1945 in zwei Staaten geteilt. In der sowjetisch besetzten Zone legten die sozialistisch geführten Verwaltungsorgane bereits 1945/46 im Zuge der demokratischen Bodenreform die Sense an den Großgrundbesitz an und enteigneten Güter über 100 ha sowie die Ländereien von Nazis und Kriegsverbrecher:innen. Die enteigneten Böden, die etwa 30 Prozent der landwirtschaftlichen Fläche in der Sowjetischen Besatzungszone (SBZ) entsprachen, wurden an 560.000 landlose und landarme Bäuer:innen sowie Neubäuer:innen übergeben. Ab 1952 begann die Kollektivierung der Landwirtschaft in der DDR mit der Schaffung der ersten „Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften“ (LPG). Diese nahmen bis 1960 ca. 84 Prozent des Landes in der DDR ein13, wobei der Rest vor allem durch „Volkseigene Güter“ (VEG) betrieben wurde. Das heißt: Während die LPGs Kollektiveigentum der Genossenschaftsbäuer:innen waren, die neben ihrem leistungsbezogenen Lohn eine Beteiligung an den Gewinnen des Betriebs erhielten, gehörten die VEGs dem Staat. Sie unterlagen auch direkt der staatlichen Wirtschaftsplanung. Die meisten LPGs wurden nach 1990 (teil)aufgelöst und in GmbHs oder Genossenschaften nach bundesdeutschem Recht umgewandelt, ein geringerer Teil der früheren LPG-Flächen ging an Einzelbäuer:innen oder wurde an frühere Eigentümer:innen zurückgegeben.
In Westdeutschland blieb die Eigentumsstruktur auf dem Land nach 1945 dagegen erhalten, wobei sich ein langfristiger Strukturwandel vollzog. Aus den noch in halbfeudalen Verhältnissen lebenden Knechten und Mägden der Vorkriegszeit wurden Lohnarbeiter:innen. Durch die Expansion der Industrie fanden sie sowie viele frühere landarme Bäuer:innen ab den 1950er Jahren Arbeit in den Städten. Der hieraus entstehende Arbeitskräftemangel auf dem Land wirkte als zusätzlicher Motor für die Mechanisierung und Intensivierung der Landwirtschaft durch den Einsatz von Traktoren und Maschinen sowie Industriedünger und Pflanzenschutzmitteln. Das machte landwirtschaftliche Betriebe zunehmend kapitalintensiv und beschleunigte ihre Konzentration und das Sterben kleiner und unrentabler Höfe. Lag die Zahl landwirtschaftlicher Betriebe in Westdeutschland im Jahr 1960 noch bei 1,5 Millionen, gibt es heute gerade einmal noch 255.000 davon in Gesamtdeutschland14. Die durchschnittliche Betriebsgröße ist derweil von 8,7 ha auf 63 ha gewachsen, wobei sich deutliche regionale Unterschiede fortsetzen15. Zugleich hat sich die Effizienz der Bauernhöfe massiv gesteigert, der Weizenertrag pro Fläche etwa ist heute ca. viermal so hoch wie vor 120 Jahren. Im Jahr 1900 ernährte ein:e einzelne:r Landwirt:in in Deutschland vier Menschen, heute sind es ca. 14016.
Der Strukturwandel wurde dabei durch staatliche Eingriffe gesteuert. Wesentliches Element hierbei ist bis heute die Gemeinsame Agrarpolitik (GAP) der Europäischen Union, die bereits 1957 von den sechs Gründungsmitgliedern17 ihrer Vorläuferorganisationen initiiert wurde. Ziel war die Unabhängigkeit Europas von Nahrungsmittelimporten durch die Steigerung der landwirtschaftlichen Produktion. Dazu wurde ein einheitlicher europäischer Markt geschaffen und dort den europäischen Erzeugnissen ein Vorrang gegenüber Importen eingeräumt, etwa durch garantierte Mindestpreise und den staatlichen Aufkauf von Überschüssen. Dies war der Start für die weitgehende Subventionierung der europäischen Landwirtschaft durch die EU. Der Agrarhaushalt macht heute rund 40 Prozent des gesamten EU-Haushaltes aus und umfasste 2024 ca. 52,5 Milliarden Euro18. Die Subventionen sind für die Bäuer:innenbetriebe überlebenswichtig, auch wenn sie zu einem großen Teil in die Taschen großer Agrarkonzerne fließen19, die auch eine dominierende Rolle im Deutschen Bauernverband (DBV) spielen20. Auf Basis der Subventionspolitik gehören die europäischen Länder heute zu den größten Agrarexporteuren der Welt. Deutschland liegt diesbezüglich auf Platz 4 hinter den USA, Brasilien und den Niederlanden21. Dies führte u. a. zur Überschwemmung afrikanischer Länder mit billigem Geflügelfleisch und Milch aus Europa und der Verdrängung der heimischen Produktion dort22. Insgesamt ist die Agrarproduktion in Europa schon lange in globale Produktionsketten eingebunden, etwa durch den notwendigen Import von Saatgut, Futtermitteln, Dünger und Pflanzenschutzmitteln.
Das langsame Sterben kleiner und nicht-rentabler Bauernhöfe und der Zwang für die verbliebenen Betriebe, sich der Produktivitätsentwicklung durch teure Investitionen anzupassen („Wachsen oder weichen“) hat in den vergangenen Jahrzehnten anhand konkreter Konfliktpunkte immer wieder zu heftigen Bäuer:innenprotesten in Europa geführt. 1971 kämpften 100.000 Landwirt:innen in Brüssel gegen den „Mansholt-Plan“, der einen Abbau der landwirtschaftlichen Überproduktion in Europa, die kontrollierte Abwicklung von 5 Millionen Kleinbäuer:innen und die schrittweise Streichung der Agrarsubventionen vorsah. Der Plan wurde infolge der Proteste größtenteils aufgegeben. Für das direkt entgegengesetzte Ziel, nämlich einen Abbau der Überproduktion und gegen den daraus resultierenden Preisverfall für Milch protestierten 2009 die Milchbäuer:innen u. a. in Frankreich und Deutschland. Sie forderten eine stärkere Produktionsbegrenzung für Milch in der EU, blockierten hierfür französische Molkereien23, verschütteten u. a. im Allgäu und der Uckermark hunderttausende Liter Milch und organisierten einen Hungerstreik vor dem Kanzleramt. Die letzten großen Bäuer:innenproteste entzündeten sich Anfang 2024 in mehreren europäischen Ländern am Plan der EU, die Steuererleichterung auf Agrardiesel abzuschaffen und Kfz-Steuern auf landwirtschaftliche Fahrzeuge zu erheben. In Deutschland blockierten Bäuer:innen landesweit mit ihren Traktoren Autobahnzufahrten. In den Protesten wirkten auch der DBV und die Agrarindustrie mit und versuchten sie im Sinne ihrer eigenen Interessen zu beeinflussen. Die Arbeitsbedingungen von Landarbeiter:innen haben bei den Protesten dagegen kaum eine Rolle gespielt. Meist endeten die Kämpfe mit gewissen staatlichen Zugeständnissen, so nahm die Ampelregierung schon im Januar 2024 die Streichung der Kfz-Steuerbefreiung zurück und streckte die Abschaffung der Subvention für Agrardiesel auf mehrere Etappen24.
2) Die Klassenverhältnisse in der heutigen deutschen Landwirtschaft
Die Landwirtschaft ist heute sowohl nach Bruttowertschöpfung als auch nach Beschäftigten der mit Abstand kleinste Sektor des deutschen Kapitalismus. Zusammen mit der Forstwirtschaft und der Fischerei kommt sie gerade einmal auf 1 Prozent der deutschen Bruttowertschöpfung, wobei dieser Wert seit Jahrzehnten relativ konstant ist25. Nur geringfügig höher liegt mit 1,2 Prozent der Anteil dieses Sektors an den Erwerbstätigen26. Diese Zahlen widersprechen jedoch nicht der enormen strategischen Bedeutung dieses Sektors, nämlich für die Nahrungsmittelversorgung der Bevölkerung. Im Durchschnitt liegt der landwirtschaftliche Selbstversorgungsgrad in Deutschland, also das Verhältnis zwischen Eigenerzeugung und Verbrauch, heute bei 82 Prozent, wobei diese Zahl in Zeiten globaler Produktionsketten eher eine Rechengröße darstellt und erst dann wirklich Aussagekraft gewinnt, wenn man einzelne Produkte genauer betrachtet: Getreide z. B. wird mit einem Selbstversorgungsgrad von 104 Prozent im Überfluss produziert, während nur etwa 10 Prozent des in Deutschland verbrauchten Sonnenblumenöls hier hergestellt wird. Bei Schweinefleisch beträgt der Selbstversorgungsgrad sogar 135 Prozent. Dennoch importierte Deutschland 2024 rund 942.000 Tonnen davon, während es zugleich über 2,2 Millionen Tonnen exportierte27. Im Jahr 2023 exportierte Deutschland pflanzliche Erzeugnisse wie Getreide, Kartoffeln, Mehl, Grieß und Malz im Wert von 15,2 Milliarden Euro sowie Fleisch und Milchprodukte im Wert von 18,5 Milliarden Euro. Der größte Teil davon ging in die Niederlande, nach Belgien und Italien. Deutschland importierte dagegen für 38 Milliarden Euro pflanzliche Produkte wie Getreide, Ölsamen, Früchte und Nüsse sowie für 19,9 Milliarden Euro Fleisch und Milcherzeugnisse, wobei die Importe vor allem aus Polen, den Niederlanden und Tschechien kamen28 29 30 31. Daneben sind für die deutsche Landwirtschaft die Importe von Futtermitteln, Dünger, Rohstoffen und Maschinen relevant. Hierzu gehören Soja aus Brasilien, Argentinien und den USA32, Mais aus Osteuropa33, Phosphat aus Marokko, Russland und China34 Kali aus Russland und Belarus35, Stickstoffdünger36, Pflanzenschutzmittel, Landmaschinen, Saatgut und Zuchtmaterial37.
Die Struktur der landwirtschaftlichen Betriebe ist wiederum vielfältig, historisch bedingt und unterscheidet sich je nach Region. In erster, grober Näherung kann man eine landwirtschaftliche Dreiteilung Deutschlands feststellen, bei der kapitalistische Agrarbetriebe im Osten dominant sind, mittlere Familienbetriebe im Norden und Nordwesten und kleine Familienbetriebe und Nebenerwerbslandwirtschaften in Süddeutschland. Das bedeutet aber erstens nicht, dass alle diese Betriebsformen nicht auch in den anderen Landesteilen vorkommen. Zweitens schließt es Übergänge zwischen diesen Betriebsformen nicht aus, etwa in der Form familiengeführter kapitalistischer Agrarbetriebe, bei denen die Selbstausbeutung nicht mehr dominant ist.
Insgesamt können wir in der deutschen Landwirtschaft in den letzten Jahrzehnten die folgenden Entwicklungstendenzen feststellen:
- Wachsende Automatisierung und Digitalisierung der landwirtschaftlichen Produktion bei gleichzeitigem Fortbestehen einfacher Handarbeit bei bestimmten Tätigkeiten wie z. B. der Ernte von Obst und Gemüse.
- Integration der Landwirtschaft in globale Produktionsketten.
- Konzentration der Produktion bei immer weniger immer größeren landwirtschaftlichen Betrieben mit immer höherem Output. Diese Entwicklung ist in Westdeutschland stark zu verzeichnen (genauere Zahlen s. u.). Die Zahl und Größe der Betriebe im Osten ist dagegen zwischen 2010 und 2020 relativ konstant geblieben38. Der große Umbruch fand hier bereits Anfang der 1990er Jahre statt, als die LPGs der DDR in Agrarbetriebe umgewandelt wurden, die Zahl der Betriebe von 4.300 auf rund 30.000 anstieg, sich diese verkleinerten39 und die Zahl der Beschäftigten sich um 90 Prozent verringerte40.
- Ungeklärte Nachfolge in vielen Familienbetrieben: In rund 63 Prozent der Einzelunternehmen, in denen die Betriebsleiter über 55 Jahre alt sind, war die Hofnachfolge im Jahr 2021 ungeklärt. Die Gründe dafür sind vor allem die schwierigen wirtschaftlichen Bedingungen der Bäuer:innenbetriebe, mangelndes Interesse nachfolgender Generationen an der Arbeit in der Landwirtschaft und im konkreten Fall Probleme wie die Notwendigkeit hoher Investitionen41.
- Langsam wachsende Bedeutung von Unternehmensgruppen: Von 16,6 Mio. Hektar landwirtschaftlich genutzter Fläche werden 1,84 Mio. ha inzwischen von Betrieben bewirtschaftet, die Teil irgendeiner Gruppe sind (11 Prozent). Solche Gruppen können z.B. entstehen, wenn Unternehmer:innen Anteile an einem landwirtschaftlichen Betrieb erwerben. Nach den aktuellsten Zahlen betrifft dies heute 3740 Betriebe, die 2.200 Unternehmensgruppen gehören42. In vielen Fällen ist dabei nur ein einziger Betrieb übernommen worden und dabei vom Einzelunternehmen in eine komplizierte Rechtsform übergegangen. Das bedeutet: Von einer Monopolisierung wie in anderen Wirtschaftszweigen, in denen zwei bis drei Unternehmen einen Wirtschaftssektor unter sich aufteilen, kann in der deutschen Landwirtschaft heute noch lange keine Rede sein. Vielmehr geht es hier um eine langsame Entwicklung von klassischen Bäuer:innenbetrieben zu „kapitalistischeren“ Betriebsformen, in denen sich Eigentum und Produktion voneinander trennen.
- Deutlicher Rückgang der Zahl der Beschäftigten in der Landwirtschaft43: Diese sank allein zwischen 2010 und 2023 um knapp 19 Prozent auf 875.90044. Die Zahl umfasst Bäuer:innen bzw. Familienarbeitskräfte (45 Prozent), fest angestellte Lohnarbeiter:innen (27 Prozent) und Saisonarbeiter:innen (28 Prozent).
- Arbeitskräftemangel auf vielen Höfen45.
- Steigende Pachtanteile und steigende Pachtpreise: Der Pachtflächenanteil ist in Westdeutschland inzwischen bei 56 Prozent angelangt, das heißt weit mehr als die Hälfte der landwirtschaftlich genutzten Fläche ist hier gepachtet und nicht Eigentum des Bäuer:innen. In der Regel steckt dahinter, dass die Flächen untergegangener Höfe von anderen landwirtschaftlichen Betrieben gepachtet werden, um die eigene Produktion zu erweitern. Im Osten liegt der Pachtflächenanteil schon länger recht konstant bei ca. 68 Prozent46.
- Wachsende Abhängigkeit der Bäuer:innen als Erzeuger:innen von Rohprodukten (wie z. B. Milch, Getreide) von der durchmonopolisierten Industrie (z. B. Molkereien), Agrar- und Handelskonzernen.
In Ostdeutschland sind, wie bereits erwähnt, kapitalistische Agrarbetriebe vorherrschend, die nicht in Familienbesitz sind und keine Dominanz der Selbstausbeutung mehr aufwiesen, sodass der Begriff „Bäuer:innen“ hier keine Anwendung mehr finden kann. Diese Agrarbetriebe haben üblicherweise eine verhältnismäßig hohe Zahl (10-100) an überwiegend fest beschäftigten Lohnarbeiter:innen und weisen eine fortgeschrittene Arbeitsteilung auf. Sie existieren zum Teil als Genossenschaften nach bürgerlichem Recht, die nichts mehr mit den LPGs aus DDR-Zeiten zu tun haben, das heißt der Betrieb gehört nicht mehr den dort Beschäftigten. Saisonarbeit ist in diesen Betrieben weniger ausgeprägt als in den anderen Betriebsformen. Verglichen mit Industrieunternehmen handelt es sich bzgl. der Beschäftigtenzahl immer noch um kleine bis mittlere Unternehmen, verglichen mit anderen landwirtschaftlichen Betrieben um große Unternehmen mit Flächen von teils bis zu 200-2000 ha.
Im Kontrast dazu stehen die bäuerlichen Familienbetriebe, die in Nord-, West- und Süddeutschland häufig auftreten. Die dort arbeitenden Familienangehörigen zählen zusammen mit den Landarbeiter:innen zu den beiden produzierenden Klassen in der deutschen Landwirtschaft. Diese beiden Klassen und ihre Arbeits- und Lebensbedingungen stellen wir im folgenden genauer dar.
1. Bäuer:innen
Hinter dem Begriff „Bäuer:innen“ verbergen sich heute vor allem die Inhaber:innen und Betreiber:innen der folgenden beiden (kapitalistischen) Betriebsformen auf dem Land, die von Familienarbeitskraft, d. h. Selbstausbeutung dominiert sind:
- Mittlere Familienbetriebe: Dies sind vor allem Einzelunternehmen im Haupterwerb sowie Personengesellschaften von wenigen Familienangehörigen. Als kapitalistische Betriebe sind sie „klein“ bezüglich der Zahl von einigen wenigen (1-10) ständigen Beschäftigten außer Familienangehörigen und gemischt in Bezug auf die verschiedenen Beschäftigungsformen47. Zu Familienarbeitskräften und Festangestellten kommen je nach Art des Betriebs bis zu hunderte Saisonarbeitskräfte hinzu, z. B. im Obst- und Gemüseanbau sowie bei Sonderkulturen (z.B. Wein, Obst, Hopfen), die besonders stark in Rheinland-Pfalz ausgeprägt sind. Nach Hektarzahl sind die Höfe mit 50-150 ha meist „mittelgroß“ bis „groß“48 49. Diese Betriebe, häufig handelt es sich etwa um Höfe mit Tierzucht, stellen Übergangsformen von kleinen Warenproduzenten bzw. reinen Familienbetrieben zu kapitalistischen Agrarbetrieben wie im Osten dar und sind regional besonders häufig in Nord- und Nordwestdeutschland, z. B. NRW und Niedersachsen anzutreffen. Einige produzieren direkt für bestimmte Handelskonzerne wie die Rewe Group. Die Konzentration schreitet hier zügig voran, was man an der Entwicklung der durchschnittlichen Betriebsgröße in NRW und Niedersachsen ablesen kann (die also die genannten mittleren Betriebe ebenso wie kleinere und größere Betriebe umfasst): Diese ist zwischen 2010 und 2020 von 55 ha auf 62 ha gewachsen, ebenso wie der Pachtflächenanteil durch „Zupachten“ der Flächen untergegangener Höfe. Zusätzliche Erwerbsquellen wie z. B. die Nutzung von Flächen zur Energiegewinnung können auch für solche Betriebe lebensnotwendig sein. Einem hohen Betriebswert steht in der Regel eine hohe Verschuldung gegenüber50. Ein Beispiel zur Veranschaulichung51: Herr K. als Betriebsinhaber und Frau K. als mithelfende Familienangehörige betreiben einen Milchviehbetrieb. Frau K. arbeitet hauptberuflich als Beamtin und die Familie ist an Windkraft- und Solaranlagen beteiligt. Nur diese zusätzlichen Einkommen sichern die Fortführung des unrentablen Bäuer:innenhofs. Herr K., dessen Familie seit Jahrhunderten Landwirtschaft betreibt, hat den 1960 gegründeten Hof 1996 mit 80 Kühen von seinen Eltern übernommen und sein Sohn soll den Betrieb einmal fortführen. Der Betrieb umfasst heute ca. 650 Tiere, davon ca. 290 Milchkühe sowie deren Nachzucht einschließlich der Bullenmast, sowie etwa 90 Kälber. Dazu kommen 100 ha Grünland und 160 ha Ackerfläche (Mais, Weizen und Zuckerrüben). Die Flächen sind teils von Nachbarbetrieben gepachtet, die aufgegeben wurden. Der Betrieb beschäftigt neun familienfremde Arbeiter:innen, die meisten davon im Bereich der Milchkühe, der Aufzucht der Kälber und der Bullenmast. Es handelt sich um vier Frauen und fünf Männer. Nur ein Arbeiter ist in Vollzeit beschäftigt, alle anderen arbeiten Teilzeit bzw. sind Mini-Jobber:innen. Obwohl der Betrieb zu den 10 Prozent mit den größten Flächen in Schleswig-Holstein gehört, ist er nicht rentabel.
- Kleine Familien- und Nebenerwerbsbetriebe: Betriebe typischerweise mit 5-50 ha, in denen häufig nur Familienangehörige wie Ehepartner:in, (Schwieger)eltern und erwachsene Kinder arbeiten. Regional sind diese Kleinbetriebe als historische Folge fortschreitender Erbteilung vor allem in Süddeutschland vorherrschend. Punktuell, z. B. im Obst- und Gemüseanbau bei Sonderkulturen, beschäftigen sie Saisonarbeitskräfte zur Bewältigung aufwendiger manueller Erntearbeit (z. B. von Spargel, Erdbeeren oder Wein). Viele kleine Familienbetriebe sind nicht in der Lage, fremdsprachige Arbeitskräfte sinnvoll einzubinden52 und greifen bei der Obst- oder Weinernte mitunter auf Freundeskreise oder freiwillige Helfer:innen zurück. Nebenerwerbsbetriebe existieren häufig als Kombibetriebe z. B. mit angeschlossenem Handwerksbetrieb oder einem Bauunternehmen. Viele der landwirtschaftlichen Kleinbetriebe sind nicht wirtschaftlich und werden nur aus Tradition oder persönlichem Drang weiter betrieben oder sie gehen unter. Die Konzentration schreitet stark voran. Auch bei diesen Betrieben handelt es sich um eine Übergangsform von kleinen Warenproduzenten zu kapitalistischen Betrieben. Beim reinen Familienbetrieb liegt sie noch näher am Warenproduzenten, Ausbeutung fremder Arbeitskraft findet vor allem während der Erntezeit statt. Neben traditionellen Familienbetrieben gibt es auch einen kleinen Anteil von „Neubäuer:innen“, die es z. B. aus persönlichen Motiven wie ökologischer Nachhaltigkeit in die Landwirtschaft drängt oder die sich ein zweites berufliches Standbein aufbauen wollen53.
Unter den 875.900 Arbeitskräften in der deutschen Landwirtschaft machen Familienarbeitskräfte mit 398.300 die größte Gruppe aus. Ihr Anteil liegt bei 45 Prozent. Der Frauenanteil unter ihnen beträgt 126.800 bzw. 32 Prozent. Diese Familienarbeitskräfte zählen also zu den Bäuer:innen im oben dargestellten Sinne54.
Klassenmäßige Einordnung
Wie sind die oben beschriebenen Bäuer:innen nun hinsichtlich ihrer Stellung in der Gesellschaft einzuschätzen? Dazu ist folgendes anzumerken: Für die Beurteilung der Frage, ob es sich bei einer gesellschaftlichen Gruppe um eine Klasse handelt, gibt es keine scharfe quantitative Grenze bzgl. der Anzahl der betroffenen Personen. Ebenso wenig ist allein die politisch-ökonomische Einordnung entscheidend, sondern die gesellschaftliche Einordnung entlang mehrerer Dimensionen: Hat die Gruppe eine besondere Stellung zu den Produktionsverhältnissen, welcher Entwicklungstendenz unterliegt sie, hat sie eine politische Programmtik usw.? Bei den Bäuer:innen handelt es sich in diesem Sinne um die untergehenden Reste einer Klasse, die sich heute im Kleinkapital, dem (nicht-bäuerlichen) Kleinbürgertum und der Arbeiter:innenklasse auflöst und regional in sehr unterschiedlicher Konzentration noch auftaucht.
Der fortschreitende Untergang der genannten Betriebe mit der Tendenz zur immer weiteren Konzentration wird durch die EU-Subventionen künstlich verzögert, auch wenn hier überwiegend die großen Agrarkonzerne die Ernte einfahren. Subventionen machen heute je nach Jahr zwischen einem Drittel und der Hälfte des Betriebseinkommens eines typischen landwirtschaftlichen Haupterwerbsbetriebs in Deutschland aus, wobei die EU-Direktzahlungen, bei denen das Geld unmittelbar an die Bäuer:innen überwiesen wird, den größten und wichtigsten Teil hiervon bilden55. Weitere Subventionen sind z. B. Steuerbefreiungen für Fahrzeuge sowie Investitionszuschüsse. Das Betriebseinkommen umfasst als rechnerische Größe sowohl den Betriebsgewinn als auch die Einkommen aller Beschäftigten. Das heißt: Aus den Subventionen werden nicht nur die Einkommen der Bäuer:innen finanziert, sondern auch die Löhne der Landarbeiter:innen.
Politisch sind diese Subventionen neben der Förderung von Großkonzernen als stabilisierende Maßnahme für den ländlichen Raum und für den Erhalt der Lebensweise auf dem Land einzuordnen. In anderen Ländern wie Frankreich spielt das eine noch größere politische Rolle als in Deutschland. Aber auch hierzulande haben z. B. CDU und CSU ihre traditionellen Wählerhochburgen auf dem Land. Zudem sind sie eng mit der Nahrungsmittelindustrie und dem Bauernverband verwachsen.
2. Landarbeiter:innen
Außerhalb der oben dargestellten Bäuer:innenfamilien gibt es heute zwei etwa gleich große Gruppen von Landarbeiter:innen, nämlich fest angestellte Nicht-Familienarbeitskräfte und Saisonarbeiter:innen. Daneben wird ein Teil der landwirtschaftlichen Arbeit inzwischen durch externe Dienstleistungsunternehmen erbracht.
Die Arbeits- und Lebensbedingungen der beiden Arbeiter:innengruppen stellen wir im folgenden kurz dar:
i) Feste Nicht-Familienarbeitskräfte
Zu ihnen zählten im Jahr 2023 etwa 234.800 und damit 27 Prozent der Landarbeitskräfte. Der weibliche Anteil unter ihnen betrug mit 75.200 Arbeitskräften etwa 32 Prozent.
Zu dieser Gruppe gehören im einzelnen:
- Angestellte Fachkräfte (z. B. Agrartechniker:innen, Tierwirt:innen),
- Lohnarbeiter:innen mit unbefristeten Verträgen,
- Aushilfskräfte (Minijobber:innen),
- Auszubildende,
- Verwaltungspersonal und Betriebsleiter:innen ohne Familienverhältnis.
Der Anteil und der Charakter dieser Arbeitsverhältnisse unterscheidet sich zwischen den kapitalistischen Großbetrieben vor allem in Ostdeutschland und den Familienbetrieben im Westen. Feste Nicht-Familienarbeitskräfte finden sich überproportional in größeren Betrieben56. Die Zahl fest beschäftigter Landarbeitskräfte pro Betrieb liegt in Ostdeutschland (ohne Berlin) bei 6,28 und in Westdeutschland bei 2,9.
Während in ostdeutschen Großbetrieben die Tätigkeit den Charakter einer regulären Lohnarbeit wie in einem Industrieunternehmen trägt, haben sich in westdeutschen Betrieben teilweise noch Züge der erweiterten Familienbetriebe wie im Frühkapitalismus erhalten: In den mittelgroßen landwirtschaftlichen Betrieben arbeiteten vor dem Zweiten Weltkrieg häufig noch Knechte und Mägde, die auf dem Hof lebten, keine eigene Familie gründeten und den überwiegenden Teil ihres Lohnes in Naturalien erhielten. Sie gehörten quasi zur Familie. Überreste solcher klassisch-patriarchalen Strukturen finden sich in veränderter Form auch noch bei heutigen Lohnarbeitsverhältnissen auf dem Land. In Kleinbetrieben wohnen Arbeiter:innen oder Auszubildende häufig im selben Dorf oder jedenfalls nicht weit vom Arbeitsplatz entfernt, einige sogar auf dem Betriebsgelände. Und selbst wenn sie nicht auf dem Hof wohnen, besteht über die Dorfgemeinschaft nicht selten eine persönliche Bindung zur Bäuer:innenfamilie.
Zu den typischen Problemen57 von Landarbeitskräften zählen sehr lange Arbeitszeiten von deutlich mehr als 40 Stunden die Woche, die sich vor allem in der Erntezeit noch deutlich steigern können (z. B. auf 65 Stunden). Wochenendarbeit oder gar eine 24/7-Verfügbarkeit sind keine Seltenheit. Ebenso gibt es Fälle von Arbeitskräften mit 20-Stunden-Teilzeitvertrag und einer realen Arbeitszeit von 60-70 Stunden58. Beschäftigte kümmern sich zudem häufig um alle Tätigkeiten, die auf dem Hof anfallen. Im ländlichen Kleinbetrieb, wo alles persönlicher zugeht, werden die Dinge noch anders gehandhabt als in anonymen Großunternehmen – was objektiv aber eine massive Überausbeutung der Landarbeiter:innen bedeutet. Eine Arbeiterin, die in einer Studie über weibliche Landarbeitskräfte interviewt wurde, äußerte z. B., dass „Urlaub (…) ein echt schwieriges Thema in der Branche“59 sei. Die Selbstausbeutung der Bäuer:innenfamilien, die an ihrem Hof hängen und dafür bereit sind, permanent hart um die eigene Existenz zu kämpfen, überträgt sich nicht selten ganz selbstverständlich auf die Arbeiter:innen. Wer genau auf Arbeitszeiten, Urlaubstage oder vertraglich festgelegte Tätigkeitsbereiche schaut, wird kaum in einem landwirtschaftlichen Familienbetrieb anheuern oder dort lange bleiben. Gerade der Arbeitskräftemangel in der Landwirtschaft kann zudem den Druck auf Beschäftigte bestärken, den Chef „nicht hängen zu lassen“.
Die Studie kommt bezüglich der weiblichen festangestellten Arbeitskräfte und Auszubildenden dementsprechend zu dem Schluss, „dass familienfremde angestellte Frauen und Auszubildende in der Landwirtschaft vorwiegend intrinsisch motiviert sind und ein geringes materielles Interesse besitzen.“60 Das häufig geringe materielle Interesse der Arbeiter:innen wird dadurch untermauert, dass sie selten mehr als den Mindestlohn und so gut wie nie betriebliche Altersvorsorge erhalten, und das, während sie körperlich schwerste Arbeit leisten, häufig sehr stark der Sonne und damit einem erhöhten Hautkrebsrisiko ausgesetzt sind und überhaupt ein hohes Krankheits- und Unfallrisiko tragen. 38 Prozent der Arbeitskräfte in der Land- und Forstwirtschaft verrichten einfache Tätigkeiten, wobei der Anteil unter weiblichen Arbeitskräften bei 43 Prozent liegt61.
O-Töne aus Interviews mit Landarbeiterinnen in der erwähnten Studie geben einen Eindruck von der Einstellung, die sich bei fest beschäftigten Landarbeiter:innen in Familienbetrieben mitunter findet. Eine 34-jährige Melkerin in einen Familienbetrieb äußerte sich z. B. zufrieden darüber, dass sie sich trotz harter Arbeitsbedingungen in ihrem Beruf dort „am besten mit der Familie organisieren kann“. Ihre Zufriedenheit leitete sie aus dem Eindruck ab, dass sie „echt Glück“ mit ihrem Chef habe, der ihr gelegentlich nach Bedarf frei gebe62. Eine 31-jährige Auszubildende in einem ökologischen Milchviehbetrieb in Südwestdeutschland, die auf dem Betrieb lebt, schilderte die Wahl ihres Ausbildungsbetriebs trotz einer durchschnittlichen Arbeitszeit von 48 Stunden pro Woche plus Überstunden in der Erntezeit als „Glücksgriff“, wobei sie sich vor allem auf das Arbeitsklima und die Arbeitsbedingungen bezog63. Natürlich strahlen bei weitem nicht alle Landarbeiter:innen ein solches Maß an Zufriedenheit aus. Die für viele städtische Arbeiter:innen in Betrieben mit gewerkschaftlicher Mitbestimmung unvorstellbar erscheinenden Bedingungen in der Landarbeit werden von den dort Beschäftigten insgesamt aber häufig als natürlich akzeptiert.
ii) Saisonarbeiter:innen
Im Jahr 2023 arbeiteten in landwirtschaftlichen Betrieben in Deutschland 242.800 Saisonarbeitskräfte, was 28 Prozent der Beschäftigten entspricht. Der weibliche Anteil unter ihnen liegt bei 44 Prozent bzw. 108.000 Arbeiterinnen.
Saisonarbeiter:innen arbeiten überwiegend in Haupterwerbseinzelbetrieben, nämlich 134.500 bzw. 55 Prozent. 90.400 waren bei Personengesellschaften bzw. juristischen Personen beschäftigt, was familiengeführte Betriebe mit mehreren Inhaber:innen (z. B. Eltern und Kinder) ebenso einschließt wie ostdeutsche GmbHs oder Genossenschaften. Nur 18.000 Saisonarbeiter:innen arbeiteten in Nebenerwerbsbetrieben.
Die Saisonarbeiter:innen kommen „zu fast 100 % aus dem europäischen Ausland“64, insbesondere aus Rumänien, Bulgarien, Polen und der Ukraine. Sie arbeiten zu einem großen Teil als Erntehelfer:innen in Obst- und Gemüsebaubetrieben mit Sonderkulturen (u. a. Spargel, Erdbeeren, Wein). Es gibt aber auch Saisonarbeit z. B. in Milchbetrieben. Gerade kleine und mittlere Betriebe können ihre Ernte zum Teil nur bewältigen und sich finanziell halten, weil sie auf die besondere Ausbeutung von Saisonarbeiter:innen zurückgreifen und dabei häufig elementare Arbeitsstandards wie den Mindestlohn unterlaufen. Hier wird die Selbstausbeutung der Bäuer:innen zum Teil besonders drastisch an die Arbeiter:innen weitergegeben. Zu den typischen Arbeits- und Lebensumständen von Saisonarbeiter:innen in der deutschen Landwirtschaft zählen z. B. kaserniertes Wohnen auf dem Betriebsgelände, Abzug der Unterkunftskosten vom Lohn, Lohnprellerei, schlechte Hygienebedingungen, Zurückschicken im Falle von Krankheiten oder Unfällen, Einschüchterung, körperliche Gewalt, mafiöse Strukturen65 u. v. m.
In der Regel gibt es in den Betrieben eine klare Arbeitsteilung zwischen qualifizierten deutschen Fachkräften und migrantischen Hilfsarbeiter:innen. Eine fest angestellte Landarbeiterin schilderte z. B. in einem Interwiew, dass sie sich um das Herdenmanagementprogramm kümmere, während „so einfache Arbeiten wie melken“ dafür jetzt „die Rumänen, Kroaten und Bulgaren“ machten66.
Der Arbeitsalltag von Saisonarbeiter:innen in einem beispielhaften landwirtschaftlichen Betrieb am Rande einer deutschen Kleinstadt wird in einem anderen wissenschaftlichen Beitrag über die Arbeitsbedingungen in der Saisonarbeit wie folgt dargestellt:
„Die migrantischen Arbeitskräfte sind in länglichen Baracken untergebracht, die auf dem Betriebsgelände und damit in unmittelbarer Nähe der Felder liegen. Für die Unterbringung zahlen die Saisonkräfte zwölf Euro pro Tag. Das Geld wird direkt vom Lohn abgezogen. Das Gelände mit den Wohngebäuden ist durch einen Zaun um- und eingegrenzt. Dabei teilen sich zwei bis vier Personen ein Zimmer, in dem es zwei Kochplatten und einen Kühlschrank gibt. Toilette, Dusche und Waschraum sind extern untergebracht. Die Arbeiter*innen kaufen in der eineinhalb Kilometer entfernten Kleinstadt selbst ein und kochen für sich selbst. Da sie ihren Lohn erst nach Ablauf ihres dreimonatigen Aufenthalts erhalten, bekommen sie einen wöchentlichen Vorschuss von etwa 50 Euro.
Landwirtschaftliche Arbeit zeichnet sich dadurch aus, dass das Arbeitsvolumen aufgrund schwankender Wetterverhältnisse schwierig zu planen ist. Entsprechend werden die Arbeitszeiten angepasst und schwanken je nach Bedarf. In der Regel arbeiten die Saisonkräfte acht bis zehn Stunden pro Tag an sechs Tagen die Woche. Sie beginnen meist um fünf oder sechs Uhr und beenden die Feldarbeit gegen 16 Uhr. Die meiste Erntearbeit bedarf einer nur kurzen Anlernzeit, verlangt jedoch eine hohe körperliche Belastbarkeit und eine gewisse Geschicklichkeit. Viele Saisonkräfte haben entsprechend in ihren Heimatländern selbst abhängig oder selbstständig in der Landwirtschaft gearbeitet oder tun dies weiterhin. Spargel wird mit einem Spargelstecher am Ansatz „gestochen“, Erdbeeren werden per Hand gepflückt. Bei der Gurkenernte liegen die Arbeiter*innen bäuchlings nebeneinander auf einer mehrere Meter breiten Tragfläche (der „Gurkenflieger“), die von einem Traktor über das Feld bewegt wird. Die Erntearbeiter*innen greifen die Gurken und legen sie auf ein Transportband zu ihren Köpfen.
Die einfachen Saisonkräfte erhalten den gesetzlichen Mindestlohn (seit dem 01.01.2024: 12,41 Euro). Neben den Kosten für die Unterkunft zieht der Arbeitgeber die fälligen Beiträge zur Sozialversicherung und die Lohnsteuer ab. Die Beschäftigten erhalten keine Zuschläge für Überstunden. “67
Für die ausländischen Saisonarbeiter:innen ist die Arbeit in der deutschen Landwirtschaft dem Bericht zufolge häufig der Haupterwerb, was sich aus dem Lohngefälle zwischen Deutschland und Ländern wie Rumänien ergibt. Der Lebensmittelpunkt der Arbeiter:innen liegt weiterhin im Heimatland, die Saisonarbeit z. B. für drei Monate dient lediglich dem Lebensunterhalt zu Hause sowie ggf. der Finanzierung einer Selbständigkeit oder eines Hauses. Viele der Saisonarbeiter:innen haben keinen Schulabschluss. Arbeitsbedingungen werden von ihnen überwiegend am Standard in ihren Heimatländern gemessen und nicht am schlechten Standard im Vergleich mit anderen Branchen in Deutschland68. Da es nur um Gelderwerb geht, gibt es häufig eine hohe Bereitschaft zu Überstunden über den legalen Rahmen hinaus, auch wenn diese nicht mit Extra-Zuschlägen vergütet werden, und wenig Interesse an sozialversicherungspflichtiger Beschäftigung:
„Arbeitgeber [gehen] in der Landwirtschaft seit 2022, bedingt durch staatlichen Druck, vermehrt dazu über, Saisonkräfte sozialversicherungspflichtig zu beschäftigen. Dies war lange von Gewerkschaften und Beratungsorganisationen gefordert worden. Viele Saisonkräfte, die mit dem Bruttostundenlohn angeworben wurden und dann von den Abzügen in Höhe von 23 Prozent inklusive Lohnsteuer erfuhren, waren jedoch darüber sehr verärgert. Dies wurde in Gesprächen und Interviews teilweise als das größte oder teils gar das einzige Problem in ihrem Betrieb benannt.“69
Ganz anders als bei den fest angestellten landwirtschaftlichen Beschäftigten findet sich bei den Saisonarbeiter:innen also häufig ein hohes bzw. ausschließliches materielles Interesse und eher wenig „intrinsische Motivation“. In Interviews mit Saisonarbeiter:innen wurden als Konfliktgründe am Arbeitsplatz Punkte genannt wie der Zustand von Unterkünften und Arbeitsschuhen; eine zu niedrige Entlohnung oder unzureichende Lohnabschläge; überteuerte Abzüge für Unterkünfte und Arbeitsmittel, zu hoher Arbeitsdruck; ein schlechter Umgang mit den Beschäftigten und der Einsatz für andere Tätigkeiten als ursprünglich vereinbart70.
Nicht selten setzen sich die Saisonarbeiter:innen gegen solche Punkte zur Wehr und leisten spontan niedrigschwelligen Widerstand, wobei die Suche nach einem anderen Arbeitsplatz in den von Arbeitskräftemangel geprägten Landwirtschaftsbetrieben häufig das erste Mittel der Wahl ist. Ebenso setzen sich Saisonarbeiter:innen zur Wehr, indem sie in Gruppen zu Vorarbeiter:innen oder Chef gehen; Obst und Gemüse für den Eigenbedarf klauen, um zurückgehaltenen Lohn zu kompensieren; drängende Probleme selbst lösen (z. B. indem sie selbst die Wände in ihrer Unterkunft streichen); die Zusammenarbeit mit Medien oder Beratungsorganisationen suchen oder aber ihre Arbeit zurückhalten71. Wie der Bericht zu den Arbeitsbedingungen von Saisonarbeiter:innen herausstellt, kommen kleinere Kurzstreiks von Erntehelfer:innen auf Bauernhöfen recht häufig vor – hier die Schilderung eines Beispiels:
„Auf einem großen Bauernhof in Ostdeutschland traten bis zu 200 Saisonkräfte mehrmals für einige Stunden in den Streik. „Der Anlass ist immer, dass die Arbeitsvorgaben zu hoch sind. Manche sind älter, kränker, also gebrechlicher, oder manchmal fühlt man sich am Tag nicht so gut und dann kann man die Quote, diese Arbeitsvorgabe nicht einhalten. Das war der Anlass. Jedes Jahr werden die Arbeitsvorgaben höher, ob bei Erdbeeren, Spargel oder Gurken“. (Interview Saisonkraft 2, 27.04.2024). Im Fall der Erdbeeren sollten die Arbeiter*innen in den ersten zweieinhalb Stunden neun Kisten Erdbeeren à 5 Kilogramm gepflückt haben. Ansonsten wurden sie für den Tag unbezahlt in die Unterkunft geschickt. In Reaktion darauf, dass die Arbeitsvorgaben kaum zu erfüllen waren, traten die Beschäftigten mehrere Stunden in den Ausstand. Der Arbeitgeber drohte damit, den Beschäftigten nur einen Vorschuss von 300 Euro zu geben und sie zurück nach Rumänien zu schicken. Als Kompromiss reduzierte der Vorarbeiter die Arbeitsvorgaben von drei auf zweieinhalb Kisten pro Stunde. Dieser Erfolg schien jedoch nicht langfristig Bestand zu haben und in den Fällen der anderen Streiks mussten die Arbeiter*innen ohne Verbesserungen an die Arbeit zurückkehren.“72
Längere Streiks mit öffentlicher Aufmerksamkeit sind dagegen die absolute Ausnahme. Ein Aufsehen erregendes Beispiel hierfür war mitten in der Corona-Pandemie im Mai 2020 der wilde Streik von rumänischen Spargelstecher:innen in einem Betrieb in Bornheim73:
„In Bornheimin der Nähe von Bonn kam es am Freitagmorgen (15.05.2020) zu einem spontanen Streik in einem großen Spargelbetrieb. Die Feldarbeiter:innen, die größtenteils aus Rumänien stammen, weigerten sich morgens, in die Busse zu steigen, die sie immer zu den Spargelfeldern bringen. Grund für ihren Streik sind die extrem ausbeuterischen Verhältnisse in dem Betrieb. Die Arbeiter:innen hatten für einen vollen Monat Arbeit nur rund 200 bis 300 Euro erhalten. Damit wollen sie sich nicht zufrieden geben und kündigen an weiter zu streiken. Der Betriebsleiter hatte bereits kurz darauf am Freitag die Polizei zur Unterstützung gerufen. Diese rückte mit rund 20 Beamt:innen an, konnte die ArbeiterInnen allerdings nicht vom Streiken abhalten. Der Betrieb hat bereits vor einigen Wochen Insolvenz angemeldet, weswegen er jetzt von einem Insolvenzverwalter geführt wird.“74
Gewerkschaftliche Organisierung
Zum gewerkschaftlichen Organisierungsgrad in der deutschen Landwirtschaft gibt es keine genauen Angaben. Betriebsräte und Gewerkschaften sind dort jedoch bekanntermaßen wenig bis gar nicht vorhanden und wenn überhaupt nur in den ostdeutschen Agrarbetrieben: „Die Gewerkschaft IG BAU verhandelt in diesem Sektor zwar Branchentarifverträge. Da sie über so gut wie keine Mitglieder und damit kaum über Durchsetzungsmacht verfügt, entsprechen die darin festgehaltenen Bedingungen indes nur gesetzlichen Mindeststandards.“75 Es gibt auch wenig sichtbare Bestrebungen, an diesem Zustand etwas zu ändern. Die IG BAU hat zwar die Möglichkeit einer Jahresmitgliedschaft speziell für Saisonarbeiter:innen geschaffen, die aber beiderseitig vor allem als Rechtsschutz für individuelle Klagen verstanden und genutzt wird. Ebenso gibt es Kampagnen zur Aufklärung von Landarbeiter:innen über ihre Rechte, z. B. durch die Initiative Faire Landarbeit der IG BAU76.
Die anarchosyndikalistische Freie Arbeiter*innen-Union (FAU), die 2020 schon mit den Spargelstecher:innen in Bornheim gearbeitet hat, hat 2022 die „Initiative Grüne Gewerke“ ins Leben gerufen, um neben Gartenbaubetrieben auch Arbeiter:innen in der Landwirtschaft zu organisieren77 78.
Corona und Saisonarbeit
Besonders drastisch wirkten sich die schlechten Arbeitsbedingungen einschließlich Kasernierung auf den Höfen während der Corona-Pandemie aus, teilweise mit Massenansteckungen. Zur Sicherung der Nahrungsmittelversorgung weitete Deutschland die Höchstdauer für geringfügige Beschäftigung von 70 auf 115 Tage aus und richtete eine „Luftbrücke“ zur Herbeischaffung von 40.000 Saisonarbeiter:innen aus Rumänien ein. Die Logistik hierfür übernahm der Bauernverband. Dies unterstreicht die Bedeutung der Saisonarbeitskräfte für die Nahrungsmittelversorgung und damit ihre Produktionsmacht. Ebenso wurden zweiwöchige Arbeitsquarantänen eingeführt. Die Isolierung führte dazu, dass „ausbeuterische Praktiken“ seitens der Höfe nochmals erleichtert wurden79.
Infolge des oben benannten Streiks in Bornheim im Mai 2020 und eines darauffolgenden Besuchs der rumänischen Arbeitsministerin wurden zwischen beiden Ländern Arbeitsgruppen zur Verbesserung der Lage der Saisonarbeiter:innen gebildet. Zu den konkreten Ergebnissen gehört u. a. eine Pflicht zu einer (rudimentären) Krankenversicherung z. B. für Verletzungen: Vorher war es gängige Praxis, dass erkrankte Arbeiter:innen auf eigene Kosten zurückgereist sind oder ihnen die Behandlungskosten vom Lohn abgezogen wurden. Im Rahmen der Gemeinsamen Agrarpolitik der EU sollen außerdem künftig Subventionen an landwirtschaftliche Betriebe ab 2025 nur dann voll ausgezahlt werden, wenn Arbeitsmindeststandards eingehalten werden80.
Imperialismus und Klassenverhältnisse auf dem Land
Das Fortbestehen der landwirtschaftlichen Betriebsstruktur in Deutschland mit einem noch immer hohen Anteil von – wenn auch prekären – Familienbetrieben im Westen wäre nicht denkbar ohne die imperialistische Ausbeutung der Arbeiter:innenklasse in abhängigen Ländern und der Arbeiter:innen in Deutschland. Durch das auf dieser Ausbeutung basierende Subventionssystem wird außerdem die Versorgung der Bevölkerung mit billigen Nahrungsmitteln ermöglicht.
Dies kann man sich an einem scheinbaren Widerspruch deutlich machen: Obwohl die landwirtschaftlichen Betriebe mit dem Rücken zur Wand stehen, ist ihr Ertragsanteil an den im Handel verkauften Lebensmitteln höher als in vielen industriellen Zulieferbeziehungen. Milchbäuer:innen zum Beispiel erhalten vom Milchpreis im Laden heute etwa die Hälfte, während den Rest des Umsatzes die stark monopolisierten81 Molkereien und der Lebensmitteleinzelhandel abschöpfen82. Dies ist – relativ gesehen – gar nicht so wenig, wenn man bedenkt, dass dem Rohstoff Milch durch die Lohnarbeiter:innen in der Molkereiindustrie zusätzlicher Wert hinzugefügt wird. Von diesen Erträgen existieren könnten die Bäuer:innen dennoch nicht. Bei Industriewaren, die wie T-Shirts oder iPhones vollständig im Ausland produziert und in Deutschland lediglich im Handel verkauft werden, geht im Unterschied dazu mitunter nur ein Anteil von unter 30 Prozent an den produzierenden Betrieb, und das, obwohl dem Produkt außer einem geringen Anteil während des Transports kein neuer Wert mehr hinzugefügt wird. Dies ist jedoch nur möglich aufgrund einer massiven Überausbeutung der Arbeiter:innen in den abhängigen Ländern83.
Der Umstand dieses vergleichsweise hohen Erzeugeranteils in der Landwirtschaft erklärt sich dadurch, dass die Preise für Lebensmittel in der EU durch Subventionierung künstlich niedrig gehalten werden. Die Milch geht also eigentlich zu billig über den Ladentisch. Dafür verlangen Handel und Industrie niedrige Einkaufspreise von den Bäuer:innen und diese können sich nur unter prekären Bedingungen als Betriebe halten, weil ihr Einkommen einschließlich der zu zahlenden Landarbeiter:innenlöhne zu einem hohen Teil durch staatliche Subventionen finanziert wird. Das Geld hierfür stammt wiederum aus der Ausbeutung der Arbeiter:innenklasse, die nicht nur sämtlichen Reichtum im Kapitalismus produziert, sondern über direkte und indirekte Steuern faktisch auch den gesamten Staatshaushalt finanziert. Das System der internationalen Abschöpfung von Mehrwert im Rahmen globaler Produktionsketten, das etwa im oben geschilderten Beispiel der T-Shirts und iPhones zum Ausdruck kommt, trägt sein Übriges auch zur Füllung der Staatskassen bei (denn bei jedem verkauften Produkt kassieren die Finanzämter ebenfalls mit).
Die Bäuer:innenbetriebe können also faktisch nur aufgrund eines Systems der Überausbeutung der Weltarbeiter:innenklasse noch existieren. Dass sie, um ihre Ernte zu bewältigen, auch selbst migrantische Saisonarbeiter:innen übermäßig ausbeuten, kommt noch hinzu.
Bäuer:innenbewegung und Proteste 2024
Die Bäuer:innenbetriebe stehen trotz allem am unteren Ende der Nahrungskette in der Organisation der kapitalistischen Landwirtschaft, sind von kapitalistischen Konzernen und vom Staat abhängig und auf die Ausbeutung billiger Arbeitskraft angewiesen. Nur wenige schaffen den Aufstieg zum kapitalistischen Unternehmen, die meisten gehen früher oder später unter.
Vor diesem Hintergrund kommt es immer wieder zum Aufkeimen politischer Proteste der Bäuer:innen mit Aktionsformen, die für Deutschland zum Teil sehr ungewöhnlich sind, wie z. B. Traktorblockaden von Autobahnzufahrten und Traktordemos. Zuletzt geschah dies im Januar 2024 infolge des Versuchs der Ampelregierung, eine EU-Richtlinie umzusetzen, die Steuererleichterung auf Agrardiesel abzuschaffen und KfZ-Steuern auf landwirtschaftliche Fahrzeuge zu erheben.
Es gibt verschiedene politische Akteure in diesen Protesten, z. B. den Deutschen Bauernverband (DBV) als „klassenübergreifende“ Organisation unter Führung der Agrarindustrie, die von unten gegründete Initiative „Land schafft Verbindung“ mit inzwischen zahlreichen Abspaltungen sowie vor allem bei früheren Protesten den Bund deutscher Milchviehhalter84 als DBV-kritische Organisation. Rechte Kräfte wie die AfD und Aktivist:innen, welche die Fahne der historischen „Landvolk“-Bewegung85 verwenden, versuchen in die Proteste hineinzuwirken. Auf linker Seite hat vor allem die FAU inhaltlich und praktisch zum Thema der Bäuer:innenproteste und der Landarbeit gearbeitet86.
Die politischen Forderungen der Bäuer:innenbewegung drehen sich um verschiedene wirtschaftliche Fragen mit teils starkem Fokus auf bestimmte nationale oder EU-weite rechtliche Verordnungen, wie hier im Forderungskatalog der Bewegung „Land schafft Verbindung“ aus dem Januar 202487:
- Keine Streichung der Agrardieselentlastung, keine Einführung von Kfz-Steuern auf landwirtschaftliche Fahrzeuge.
- Die in „Artikel 148, VO 1308/2013 GMO geschaffene Möglichkeit, den Vertragspartnern des Primär- und Sekundärsektors eine verbindliche Vorgabe zum Abschluss von Verträgen vor der Ablieferung von Rohmilch und Fleisch, unabhängig von den Unternehmensformen, vorzugeben“, solle zügig in nationales Recht umgesetzt werden. Hinter dem schwer verständlichen juristischen Ausdruck versteckt sich die Forderung an den Staat, die Lieferbeziehungen zwischen Landwirtschaftsbetrieben und Industrie durch eine Vertragspflicht zu steuern, die bestimmte Bestandteile wie Preise und Liefermengen umfassen und den Bäuer:innen damit sichere Erträge gewährleisten soll88.
- Importierte Waren sollen allen deutschen (Sozial-, Tierschutz-, Umwelt- etc.) Standards entsprechen müssen.
- Herkunftslandkennzeichnung für alle landwirtschaftlichen Produkte inklusive verarbeiteter Lebensmittel und Restaurantprodukte.
- Verbot unlauterer Handelspraktiken und des Einkaufs unter Produktionskosten.
- Keine weiteren Steuererhöhungen oder Auflagen für landwirtschaftliche Betriebe, „die sogar innereuropäisch zu Wettbewerbsnachteilen führen“89.
Der Bund deutscher Milchviehhalter verfolgt als Ziel einen kostendeckenden Milcherzeugerpreis von mindestens 50 Cent und fordert hierfür ein „effizientes Sicherheitsnetz für den Milchmarkt“ im Form von „Marktkriseninstrumenten“, verbindliche politische Vorgaben für Erzeugerpreise, Milchmengen und Vertragsdauer sowie die Förderung der „Bündelungsbemühungen“ der Milcherzeuger – also die Verstärkung ihrer Möglichkeiten zur wirtschaftlichen Zusammenarbeit90.
Der Verein „Landwirtschaft verbindet Deutschland e.V.“, der sich 2021 von der Initiative „Land schafft Verbindung“ abgespalten hat und als AfD-nah gilt, fordert daneben ausdrücklich Ausnahmen beim Mindestlohn für Saisonarbeiter:innen: „Um die Wettbewerbsfähigkeit der heimischen Landwirtschaft zu sichern, muss eine Regelung geschaffen werden, die den Mindestlohn für Ungelernte- und Saisonarbeitskräfte vom Mindestlohn für Fachkräfte entkoppelt. Nur so kann die Wirtschaftlichkeit der Betriebe erhalten und die Produktion regionaler Lebensmittel gesichert werden.“91
Die AfD hat diese Forderung nach einer Ausnahmeregelung beim Mindestlohn für Erntehelfer:innen aufgegriffen und 2024 im Bundestag zur Debatte gestellt92, während der DBV sich im Juni 2023 gegen die Erhöhung des Mindestlohns wandte93. Bürgerliche, rechte und faschistische Kräfte versuchen also offensichtlich, die kleineren Bäuer:innen gegen die migrantischen Saisonarbeiter:innen zu positionieren, und es scheint, dass solche Positionen in der Bäuer:innenbewegung auch aufgegriffen werden.
Eine klassenkämpferische Arbeiter:innenbewegung muss solchen reaktionären Positionen wie der Mindestlohnabschaffung sowie allen Positionen entschieden entgegentreten, welche den Druck, der auf kleinen und prekären Bäuer:innenbetrieben lastet, weiter auf die Landarbeiter:innen abwälzen wollen. Sie muss für eine klare Verbesserung der Lage der Landarbeiter:innen kämpfen, und das im Zweifel auch gegen die kleinen und mittleren Bäuer:innen. Daneben stellt sich aber noch die Frage, welche Forderungen der Bäuer:innen die Arbeiter:innenbewegung unterstützen kann und wie es gelingen kann, die Energie der „wildgewordenen“ Bäuer:innen in eine fortschrittliche Richtung zu lenken, sie zu einer Bündniskraft zu machen. Dieser Frage widmen wir uns im folgenden Abschnitt.
3) Wie können Grundzüge einer kommunistischen Landwirtschaftspolitik heute aussehen?
Die kommunistische Bewegung hat sich seit ihrem Entstehen sehr intensiv mit der Frage der Bäuer:innen als einem entscheidenden politischen Faktor befasst. Das gilt nicht nur für Länder wie Russland oder China, sondern auch für Westeuropa. Die politische Relevanz ergibt sich wiederum nicht nur aus der (historischen) zahlenmäßigen Stärke der Bäuer:innen, die im 19. Jahrhundert auch in Deutschland und Frankreich die Bevölkerungsmehrheit stellten, sondern ebenfalls aus ihrer fundamentalen ökonomischen Rolle als Produzent:innen von Nahrungsmitteln und als prägender Klasse für den ländlichen Raum, ohne dessen Gewinn keine Revolution lange Bestand haben würde.
Friedrich Engels (1820-1895) hat die Grundorientierung der kommunistischen Politik gegenüber den Bäuer:innen einmal folgendermaßen dargelegt: „Was ist denn unsre Stellung zur Kleinbauernschaft? Und wie werden wir mit ihr verfahren müssen am Tag, wo uns die Staatsmacht zufällt?
Erstens ist der Satz des französischen Programms unbedingt richtig: daß wir den unvermeidlichen Untergang des Kleinbauern voraussehn, aber keineswegs berufen sind, ihn durch Eingriffe unsrerseits zu beschleunigen.
Und zweitens ist es ebenso handgreiflich, daß, wenn wir im Besitz der Staatsmacht sind, wir nicht daran denken können, die Kleinbauern gewaltsam zu expropriieren (einerlei, ob mit oder ohne Entschädigung), wie wir dies mit den Großgrundbesitzern zu tun genötigt sind. Unsre Aufgabe gegenüber dem Kleinbauer besteht zunächst darin, seinen Privatbetrieb und Privatbesitz in einen genossenschaftlichen überzuleiten, nicht mit Gewalt, sondern durch Beispiel und Darbietung von gesellschaftlicher Hilfe zu diesem Zweck. Und da haben wir allerdings Mittel genug, um dem Kleinbauer Vorteile in Aussicht zu stellen, die ihm schon jetzt einleuchten müssen. (…)
Wir können nun und nimmermehr den Parzellenbauern die Erhaltung des Einzeleigentums und des Einzelbetriebs gegen die Übermacht der kapitalistischen Produktion versprechen.“94
Nach diesen Grundzügen richtete sich auch die langfristige Bäuer:innenpolitik in der Sowjetunion, in der die Kleinbäuer:innen zur Zeit der Oktoberrevolution 1917 die überwältigende Mehrheit der Bevölkerung ausgemacht haben. Hier haben die Bolschewiki das Land nach der Revolution jedoch zunächst an die Kleinbäuer:innen verteilt – was erst einmal keine sozialistische Maßnahme war, sondern dazu diente, die Mehrheit der Bäuer:innen für die Sowjetmacht zu gewinnen. Zur verstärkten Kollektivierung der Landwirtschaft kam es dort erst in den 1930er Jahren.
Die Ausgangslage ist heute und in Deutschland eine andere. Wir haben oben dargelegt, dass es den „Kleinbauern“ in seiner Reinform nicht mehr gibt. Was es an Bäuer:innenbetrieben noch gibt, sind heute kapitalistische Familienbetriebe, Nebenerwerbs- und Mischbetriebe, denen noch bestimmte Überreste des historischen Kleinbäuer:innentums ankleben, nämlich vor allem die Einheit von Produktion und Eigentum am Betrieb, die sich in der Selbstausbeutung der Familienarbeitskraft niederschlägt. Diese Betriebe sterben – politisch gebremst durch Subventionen – langsam aus und machen größeren kapitalistischen Betrieben Platz, in denen sich Produktion und Betriebseigentum tendenziell trennen.
Die kleinbäuerlichen Überreste und Traditionen sind es aber vor allem, welche die verbliebenen Bäuer:innen als politischen Faktor prägen. Ihrer wirtschaftlichen Lage nach stehen sie im ständigen Widerspruch zur Industrie und zum Handel auf der einen und zu den Landarbeiter:innen auf der anderen Seite. Aus kommunistischer Sicht gilt es nach Wegen zu suchen, ihr explosives politisches Potenzial gegen die erstgenannten Kräfte anstatt gegen die zweitgenannten zu lenken, ohne ihnen dabei falsche Versprechungen zu machen.
Im Osten Deutschlands ist die Lage aus kommunistischer Sicht vergleichsweise einfach, denn die dortigen kapitalistischen Agrarunternehmen könnten in einer sozialistischen Revolution zum allergrößten Teil sofort verstaatlicht oder aber in eine Neuauflage von LPGs zurückverwandelt werden. Für den Westen wird es dagegen erforderlich sein, kapitalistische Großbetriebe zu verstaatlichen, zugleich aber möglichst viele der kleinen und mittleren landwirtschaftlichen Familienbetriebe freiwillig in staatliches oder Kollektiveigentum zu überführen.
Auf der Grundlage dieser Überlegungen und der oben dargelegten Analyse der Klassenverhältnisse in der Landwirtschaft stellen wir die folgenden Thesen für eine kommunistische Bäuer:innenpolitik unter den heutigen Bedingungen in Deutschland zur Diskussion:
- Die Konzentration und Technisierung der Landwirtschaft mit der Herausbildung agrarischer Großbetriebe sind prinzipiell fortschrittliche Entwicklungstendenzen, aber im Kapitalismus zwangsläufig mit verheerenden Folgen für Mensch und Umwelt verbunden. Ein geordneter Übergang zu einer menschenwürdigen und umweltfreundlichen landwirtschaftlichen Produktion ist im Sozialismus möglich und notwendig.
- Das Klammern an überkommene Wirtschaftsformen wie familiäre Kleinbetriebe, die auch heute nur noch künstlich durch Steuergeld am Leben gehalten werden, kann als Kommunist:innen nicht unsere Aufgabe sein. Diese Betriebe sind mittel- bis langfristig dem Untergang geweiht. Dennoch stellt sich die Frage, ob sich Teile der Bäuer:innen unter die politische Führung der Arbeiter:innenklasse ziehen lassen. Ihr Feind ist nämlich heute das (agrarische) Großkapital, die Nahrungsmittelindustrie, die Banken etc.
- Eine kommunistische Politik in der Landwirtschaft muss sich zuerst und vor allem auf die Landarbeiter:innen stützen (sowie im weiteren Sinne auf alle Arbeiter:innen, die auf dem Land wohnen): Allein durch unser konsequentes Eintreten für höhere Löhne und vernünftige Arbeitsbedingungen geraten wir in Widerspruch zu Bäuer:innen, die sich hierdurch vom Untergang bedroht sehen. Darüber suchen wir die Diskussion mit ihnen, ohne ihnen falsche Zugeständnisse zu machen.
- Bäuer:innen können politische Multiplikatoren im ländlichen Raum sein, sodass ihnen auch Teile der arbeitenden Bevölkerung dort mit Sympathie begegnen. Aufgrund ihrer Zwangslage bilden sie heute ein ideales Feld, das von der faschistischen Propaganda beackert wird, etwa wenn Faschist:innen den „Bauernmythos“ beschwören, und sind potentielle Träger:innen der Reaktion auf dem Land. Politische Kräfte wie AfD, „Landvolk“-Aktivist:innen usw. haben das erkannt und arbeiten damit.
- Kommunist:innen müssen den Bäuer:innen gegenüber Klartext reden und Perspektiven im Sozialismus aufmachen, um der genannten Tendenz nach rechts entgegenzuwirken. Die Linie ist dabei die folgende: Der eigene Betrieb ist perspektivisch aufgrund der kapitalistischen Gesetze dem Untergang geweiht, der kapitalistische Staat wird daran auch mit Verordnungen über Marktbeziehungen, Umweltsiegeln und Herkunftslandkennzeichen nichts ändern. Das landwirtschaftliche Know-How der Bäuer:innen sowie nachfolgender Generationen kann aber im Sozialismus unter den Bedingungen eines gesicherten Auskommens und vernünftiger Arbeitsbedingungen zum Gemeinwohl in staatlichen und genossenschaftlichen Kollektivbetrieben kultiviert werden.
- Daneben können wir diejenigen Forderungen der Bäuer:innen unterstützen, die heute auf ihre Existenzsicherung abzielen und zugleich das Großkapital schwächen. Hierzu zählt z. B. das vom LSV geforderte Verbot des Einkaufs unter Produktionskosten, das Eintreten gegen Steuererhöhungen und die Möglichkeit der Schaffung von Kooperationen zwischen Bäuer:innenbetrieben, um ihre Verhandlungsposition gegenüber den Großbetrieben zu stärken („Bündelungsbemühungen“). Reaktionäre Forderungen wie die Aufweichung des Mindestlohns lehnen wir dagegen klar ab.
- Eine politische Arbeit, die sich auf die Landarbeiter:innen stützt, muss eine Vielzahl von eigenen Problemen lösen. Dazu gehören vor allem die Tatsachen, dass in vielen Regionen der überwiegende Teil der Landarbeiter:innen nur saisonweise arbeitet, während ständige Arbeitskräfte nicht selten eine enge Bindung an den Hof haben, ihre massive Überausbeutung mit hoher Motivation betreiben und eine privilegierte Stellung gegenüber den migrantischen Saisonarbeiter:innen haben. Letztere haben wiederum häufig ganz andere Interessen als ständige Arbeitskräfte in der Landwirtschaft (z. B. hinsichtlich Sozialversicherungsschutz), sprechen vielfach kein Deutsch, wohnen kaserniert auf den Betriebsgeländen und sehen ihren Lebensmittelpunkt nicht in Deutschland. Trotzdem gibt es hier eine recht hohe spontane Bereitschaft, sich gegen schlechte Arbeitszustände zur Wehr zu setzen. Hier ist es notwendig, die bisherigen Ansätze einer politischen Arbeit unter den Landarbeiter:innen aufzugreifen und weiterzuentwickeln.
Ein sozialistisches Landwirtschaftsprogramm muss aus unserer Sicht auf den folgenden Punkten aufbauen:
- In der sozialistischen Revolution wird der gesamte Grund und Boden verstaatlicht, wodurch jegliche Pacht (Grundrente) an den Staat fällt und von diesem gemäß den Erfordernissen der Wirtschaftspolitik für den sozialistischen Aufbau festgelegt wird. Diese Maßnahme berührt nicht die Nutzung des Bodens durch Kleineigentümer:innen wie z. B. Hausbesitzer:innen für den Eigenbedarf.
- Landwirtschaftliche Betriebe ab einer bestimmten Hektargröße oder einem bestimmten Umsatz sowie alle landwirtschaftlichen GmbHs, Genossenschaften nach bürgerlichem Recht und andere Nicht-Einzelunternehmen werden sofort verstaatlicht.
- In allen Regionen werden staatliche Modellbetriebe aufgebaut. Diese gab es bereits in früheren sozialistischen Ländern und sollen der Landbevölkerung die Vorteile einer staatlichen organisierten landwirtschaftlichen Produktion vor Augen führen.
- Während kurzfristig die Sicherstellung der Nahrungsmittelversorgung Vorrang hat, ist das langfristige Ziel der sozialistischen Landwirtschaftspolitik die Stärkung des staatlichen Sektors gegenüber dem genossenschaftlichen und die Überwindung eines rein privaten Sektors.
- Aus dem letztgenannten Grund ist es nicht vorteilhaft, alle Bäuer:innen, die nicht enteignet werden, nur für Genossenschaftsbetriebe zu mobilisieren, zumal es in Deutschland keine Kleinbäuer:innen mehr gibt, die historisch die wichtigsten Adressat:innen für die Kollektivierung der Landwirtschaft waren. Bei kleinen und mittleren landwirtschaftlichen Einzelunternehmen sowie Familienbetrieben mit mehreren Eigentümer:innen kann der sozialistische Staat daher auch zum Mittel der freiwilligen Enteignung gegen Entschädigung greifen. Die Betriebe werden dabei nach Möglichkeit zu größeren Staatsbetrieben zusammengefasst, wobei Teile der früheren Bäuer:innen als Betriebsleiter:innen übernommen werden können.
- Als Alternative hierzu kann der sozialistische Staat ökonomische Anreize (wie z. B. Schuldenerlass) für den Eintritt des eigenen Betriebes in Landwirtschaftliche Produktionsgenossenschaften setzen. Hier besitzen und führen alle Produzent:innen den Betrieb kollektiv. Sofern ihr eigener Betrieb von einer solchen Kollektivierung betroffen ist, erhalten auch die bisherigen Landarbeiter:innen Möglichkeiten, als Genossenschaftsbäuer:innen in die LPGs einzutreten.
- Zugleich werden alle Subventionen für Privatbetriebe ersatzlos gestrichen und rigoros hohe Standards bei der privaten Beschäftigung von Arbeitskräften in der Landwirtschaft durchgesetzt, sofern diese für die Nahrungsmittelversorgung noch zwingend erforderlich ist.
- Die sozialistische Wirtschaftspolitik muss die Produktion strategisch notwendiger landwirtschaftlicher Erzeugnisse im eigenen Land sicherstellen, solange bzw. insofern der sozialistische Staat nur in einem Land errichtet ist. Das bedeutet die Herauslösung landwirtschaftlicher Kernbereiche aus globalen Produktionsketten und den Aufbau der Produktion von Maschinen, Düngemitteln, Saatgut etc. im eigenen Land, sofern sie nicht ohnehin schon besteht. Im Falle einer Zusammenarbeit zwischen mehreren sozialistischen Ländern kann die landwirtschaftliche Produktion in eine sinnvolle internationale Arbeitsteilung überführt werden, bei der alle Exzesse der globalisierten Nahrungsmittelproduktion im Kapitalismus schnellstmöglich überwunden werden, wie z. B. der Import von Soja aus Brasilien als Tierfutter, während dort Regenwälder abgeholzt werden, der Transport von Tomaten per Luftfracht o. ä. Eine sinnvolle internationale Arbeitsteilung darf nicht bedeuten, dass einzelne Länder wie im früheren Rat für gegenseitige Wirtschaftshilfe (RGW) zu Agraranhängseln größerer Staaten werden.
- Die sozialistische Wirtschaftspolitik wird systematisch auf den Aufbau von High-Tech-Methoden und zugleich Möglichkeiten der Kreislaufwirtschaft setzen, um die natürliche Umwelt zu entlasten. Bestehende fortschrittliche Trends bei der heutigen Entwicklung der Produktivkräfte werden dabei systematisch ausgenutzt, z. B. der Ausbau der Verwendung pflanzlicher Proteine in der Nahrungsmittelversorgung, um einen Rückbau der Viehzucht zu ermöglichen, die sinnvolle Nutzung von Gentechnik, Urban Farming95 u. ä. Ebenso sollen alle Möglichkeiten genutzt werden, menschliche Arbeitskraft von manuellen Tätigkeiten wie Spargelstechen und Erdbeerpflücken zu erlösen.
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Einschub: Die Politik der KPD unter Landarbeiter:innen
Die Kommunistische Partei Deutschlands entwickelte seit ihrer Gründung 1918/19 auch eine Arbeit unter Landarbeiter:innen. Die KPD veröffentlichte im Februar 1926 in der Roten Fahne den Aufruf „Das Gesicht dem Dorfe zu“, in dem sie ein Programm zur Linderung der Not der Bäuer:innen und Landarbeiter:innen darlegte. Für die Bäuer:innen forderte sie u. a. Steuerfreiheit, günstige Kredite, ausreichendes Pacht- und Siedlungsland auf Kosten des Großgrundbesitzes sowie staatliche Hilfe für die Förderung bäuerlicher Genossenschaften96.
Die Praxis der Parteiarbeit auf dem Land gestaltete sich vor allem in Form von Agitpropaktionen wie z. B. „Roten Landsonntagen“, zu denen Kommunist:innen mit Fahrrädern oder auf LKWs in die Dörfer fuhren, um Landarbeiter:innen und Kleinbäuer:innen für die sozialistische Revolution zu gewinnen. Hierbei übernahmen städtische Parteiorganisationen jeweils Patenschaften für bestimmte Dörfer97. Nicht selten kam es dabei zu körperlichen Auseinandersetzungen mit Faschist:innen und Bürgerwehren sowie in der Folge zu Orts- und Saalverboten. Diese aktionistische und weitgehend auf Wochenendveranstaltungen beschränkte Form der Landarbeit fand innerparteilich zum Teil Kritik, insbesondere da sie die auf dem Land lebenden Genoss:innen außerhalb der Wochenenden sich selbst bzw. dem Zorn der bäuerlichen Dorfgemeinschaft überließ98.
Ein prominenter Landarbeiter, der 1924 in die KPD eintrat und später Kandidat des ZK wurde, war Albert Schettkat (1902-1945)99. Er wurde ab 1929 hauptamtlicher RGO-Funktionär für die Landarbeiterbewegung. Anfang der 1930er Jahre wurde der Einheitsverband der Land- und Forstarbeiter (EVLF) als „rote Gewerkschaft“ gegründet. Einer der Mitbegründer war der Geflügelzüchter Robert Neddermeyer (1887-1965), der ebenso wie Schettkat während des Hitlerfaschismus zum illegalen Widerstand gehörte und zeitweise im KZ saß. Neddermeyer spielte nach 1945 eine leitende Rolle bei der Bodenreform in der DDR und wurde Funktionär der Vereinigung der gegenseitigen Bäuer:innenhilfe (VdgB), einer Massenorganisation der Genossenschaftsbäuer:innen.
Der Einfluss der KPD unter Landarbeiter:innen blieb jedoch begrenzt. 1927 waren von 143.000 Parteimitgliedern etwa 2 Prozent Landarbeiter:innen100, während der Bäuer:innenanteil in der Partei sogar nur 0,1 Prozent betrug101. Diese Zahlen werden noch aussagekräftiger, wenn man berücksichtigt, dass landwirtschaftliche Arbeitskräfte in diesem Zeitraum noch fast 30 Prozent aller Arbeitskräfte ausmachten102. Die SPD hatte unter den Landarbeiter:innen ähnlich wie in anderen Teilen der Arbeiter:innenklasse einen deutlich stärkeren Einfluss als die KPD103, während viele Bäuer:innen konservativen und nationalistischen Kräften wie der Deutschnationalen Volkspartei (DNVP), dem katholischen Zentrum (v. a. in Süddeutschland) oder der völkischen „Landvolkbewegung“ zuneigten.
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Wir haben im vorliegenden Artikel gezeigt, dass die historische Bäuer:innenklasse heute in Deutschland weitgehend untergegangen ist. Die Reste von ihr, die noch existieren, sind die Betreiber:innen landwirtschaftlicher Familienbetriebe zusammen mit ihren Angehörigen, insofern sie auf den Höfen mitarbeiten. Diese Familienbetriebe existieren überwiegend nur noch in Westdeutschland, wobei im Norden und Nordwesten mittlere Betriebe und in Süddeutschland kleinere und Nebenerwerbsbetriebe vorherrschend sind. Im Osten ist die Landwirtschaft infolge der Umwandlung früherer LPGs nach 1990 weitestgehend in kapitalistischen Großbetrieben organisiert, die keine Familienbetriebe sind. Bei den Familienbetrieben handelt es sich weitgehend um kapitalistische Betriebe mit wenigen festen und ggf. saisonalen Lohnarbeiter:innen bei gleichzeitiger Dominanz der Selbstausbeutung, das heißt dem Zusammenfallen von Eigentum und Produktion. Sie tragen noch gewisse traditionelle Züge der historischen Bauernhöfe, etwa wenn ständige Arbeitskräfte mit auf dem Hof wohnen. Die landwirtschaftlichen Familienbetriebe stehen unter dem ständigen Druck, durch kapitalintensive Investitionen zu wachsen oder unterzugehen. Dieser schleichende Untergang wird durch die massive Subventionierung der Betriebe im Rahmen der EU-Agrarpolitik künstlich verlangsamt. Den größten Teil des landwirtschaftlichen Mehrwerts müssen die Betriebe an Agrar- und Handelskonzerne weiterreichen. Diesen wirtschaftlichen Druck geben die Bäuer:innen häufig an die Arbeiter:innen in Form von Überausbeutung weiter. Die prekäre Situation der Betriebe ist zugleich die Quelle der immer wieder aufflammenden Bäuer:innenproteste.
Etwas weniger als die Hälfte der heute in der Landwirtschaft tätigen Arbeitskräfte sind Familienarbeitskräfte. Die übrige Arbeitskraft verteilt sich zu etwa gleichen Teilen auf Festangestellte und Saisonarbeitskräfte. Letztere kommen überwiegend aus Osteuropa und haben ihren Lebensmittelpunkt in ihren Heimatländern. Seitens der Saisonarbeitskräfte kommt es nicht selten zu niedrigschwelligem Widerstand gegen ausbeuterische Arbeitsbedingungen in den landwirtschaftlichen Betrieben.
Eine kommunistische Landwirtschaftspolitik muss sich zuallererst auf die Landarbeiter:innen stützen und darf bei Forderungen z. B. nach höheren Löhnen den Konflikt mit den Bäuer:innen nicht scheuen. Zugleich sollte sie versuchen, Teile der noch existierenden Bäuer:innen auf die Seite der Arbeiter:innenbewegung zu ziehen, da diese sich ebenfalls in einem ständigen Widerspruch zu den großen kapitalistischen Konzernen befinden. Wir können solche Forderungen der Bäuer:innen unterstützen, die sich gegen das Großkapital richten und ihre Position gegenüber diesem stärken. Dabei müssen wir offen vertreten, dass die Entwicklung des Kapitalismus die Familienbetriebe zum langsamen Untergang verurteilt. Nur der Sozialismus bietet die Perspektive eines sicheren Auskommens für alle landwirtschaftlichen Produzent:innen, nur er kann vernünftige Arbeitsbedingungen und eine sichere und umweltschonende Nahrungsmittelproduktion auf modernem technologischen Niveau im Rahmen einer staatlich und kollektiv organisierten Produktion sicherstellen.
1Marx, Karl (1856): Brief an Engels, 16. April 1856, aus: MEW 29, Dietz Verlag, S. 47, Englisch im Original
2Marx, Karl (1867), Das Kapital – Kritik der politischen Ökonomie, Erster Band, MEW 23, Dietz Verlag, S. 744
3Marx, Karl (1862/63): Theorien über den Mehrwert, MEW 26.1, Dietz Verlag, S. 383
4https://www.stern.de/wirtschaft/news/inventur-wem-gehoert-deutschland–3089512.html
5https://www.br.de/radio/bayern2/sendungen/radiowissen/geschichte/deutscher-Bauernkrieg-gemeiner-mann-ende-folgen-100.html
6Lenin, Wladimir (1908): Die Entwicklung des Kapitalismus in Russland, LEW 3, S. 18 f.
7Tooze, Adam (2006): Ökonomie der Zerstörung, Die Geschichte der Wirtschaft im Nationalsozialismus, Siedler, S. 202
8Vgl. Tooze (2006): S. 212 f.
9Leitlinien der Komintern zur Unterstützung des KPD-Volksbegehrens zur Enteignung der ehemaligen Fürstenhäuser und zur Regierungskrise der Weimarer Republik, Moskau, 23.1.1926, aus: Weber, Hermann / Drabkin, Jakov / Bayerlein, Bernhard H. (Hrsg.) (2015): Deutschland, Russland, Komintern II. Dokumente (1918-1943), De Gruyter, S. 485 f.
10Thälmann, Ernst (1930): Programmerklärung zur nationalen und sozialen Befreiung des deutschen Volkes, 24. August 1930, https://www.marxists.org/deutsch/referenz/thaelmann/1930/08/natsozbef.htm
11Tooze (2006): S. 220 f.
12https://www.economist.com/culture/2011/02/03/marching-on-their-stomachs
13https://www.bpb.de/themen/deutsche-teilung/ddr-kompakt/521541/zwangskollektivierung/
14https://www.bpb.de/themen/umwelt/landwirtschaft/325872/wachsen-oder-weichen-deutsche-landwirtschaft-im-strukturwandel/
15https://www.destatis.de/DE/Presse/Pressemitteilungen/2021/01/PD21_028_412.html
16https://www.umweltbundesamt.de/daten/land-forstwirtschaft/landwirtschaft#landwirtschaft-heute
17Belgien, Westdeutschland, Frankreich, Italien, Luxemburg und die Niederlande
18https://www.situationsbericht.de/4/41-eu–agrarhaushalt-mehrjaehriger-finanzrahmen
19Steeger, Gesa / Huth, Katarina / Wörpel, Simon / Donheiser, Max (2022): EU-Agrarsubventionen: Diese Großkonzerne profitieren, Correctiv, https://correctiv.org/aktuelles/wirtschaft/agrarindustrie/2022/12/01/eu-millionen-fuer-lebensmittel-konzerne/
20So schreibt der frühere Vorsitzende des Bundesverbands deutscher Milchviehhalter (BDM) über den DBV: Es ist NICHT die Aufgabe des Bauernverbandes unsere Interessen zu vertreten, sondern neben den bäuerlichen Interessen auch die Interessen der Molkereien oder der Milchindustrie. Zum Bauernverband gehören ‚führende Organisationen der Land- und Forstwirtschaft, sowie ihr nahestehende Wirtschaftszweige‘.“, Schaber, Romuald (2010): Blutmilch – Wie die Bäuer:innen ums Überleben kämpfen, Pattloch, S. 129
21https://de.statista.com/statistik/daten/studie/1188866/umfrage/fuehrende-exportlaender-fuer-agrarprodukte-weltweit-nach-exportwert/
22https://www.thuenen.de/de/themenfelder/welternaehrung-und-globale-ressourcen/lokale-maerkte-foerdern-globalen-handel-verstehen/europas-gefluegel-und-milchexporte-nach-westafrika
23https://www.dw.com/de/europas-Bäuer:innen-auf-den-barrikaden/a-4278307
24https://www.tagesschau.de/wirtschaft/bauernproteste-landwirtschaft-100.html
25https://de.statista.com/statistik/daten/studie/255082/umfrage/struktur-des-bruttoinlandsprodukts-in-deutschland/
26https://www.destatis.de/DE/Themen/Wirtschaft/Konjunkturindikatoren/Lange-Reihen/Arbeitsmarkt/lrerw13a.html
27https://www.landwirtschaft.de/wirtschaft/agrarmaerkte/markt-und-versorgung/der-selbstversorgungsgrad-wie-ist-es-in-deutschland-um-die-versorgung-mit-lebensmitteln-bestellt
28https://www.destatis.de/DE/Presse/Pressemitteilungen/2024/01/PD24_022_51.html
29https://interaktiv.tagesspiegel.de/lab/von-reis-bis-schokolade-von-diesen-laendern-haengt-die-deutsche-lebensmittelversorgung-ab
30https://www.landwirtschaft.de/wirtschaft/agrarmaerkte/markt-und-versorgung/der-selbstversorgungsgrad-wie-ist-es-in-deutschland-um-die-versorgung-mit-lebensmitteln-bestellt
31Tabellen zum Außenhandel (Agrar) des Statistischen Bundesamtes https://www-genesis.destatis.de/datenbank/online/statistic/51000/details
32https://www.landwirtschaft.de/tier-und-pflanze/tier/nutztiere-allgemein/woher-kommt-das-futter-fuer-unsere-nutztiere
33https://de.statista.com/statistik/daten/studie/28902/umfrage/importmenge-von-mais-nach-deutschland-im-jahr-2007-08/
34https://www.zdf.de/nachrichten/wissen/phosphor-umwelt-recycling-klaerschlamm-100.html
35https://www.iva.de/download/Aktuelle_Situation_DM-Industrie.pdf
36https://www.agrarheute.com/management/agribusiness/duengerimporte-russland-abhaengig-deutschland-612063
37https://www.landwirtschaft.de/tier-und-pflanze/pflanze/nutzpflanzen-allgemein/woher-stammt-das-saatgut-fuer-unsere-lebensmittel
38Statistisches Bundesamt (2021): Die landwirtschaftlichen Betriebe in Deutschland, Betriebsgrößenstruktur und Ackerland, https://www.giscloud.nrw.de/arcgis/apps/storymaps/stories/5fe8efbd8c774031a276714f52d05366
39https://www.bpb.de/themen/deutsche-einheit/lange-wege-der-deutschen-einheit/47157/landwirtschaft-in-ostdeutschland-der-spaete-erfolg-der-ddr/#node-content-title-2
40https://www.agrarheute.com/management/recht/ostdeutsche-landwirtschaft-erfolgsgeschichte-573577
41https://www.praxis-agrar.de/betrieb/betriebsfuehrung/hofuebergabe/ungeklaerte-hofnachfolge-wenn-die-betriebsaufgabe-im-raum-steht
42Statistisches Bundesamt (2021): Wem gehört die Landwirtschaft? Landwirtschaftszählung 2020, https://www.giscloud.nrw.de/arcgis/apps/storymaps/stories/43e6eb55a955499eb8e624e78b38ecca
43Statista, Anzahl der Arbeitskräfte in der Landwirtschaft in Deutschland in den Jahren 2010 bis 2023,https://de.statista.com/statistik/daten/studie/663368/umfrage/anzahl-von-arbeitskraeften-in-der-landwirtschaft-deutschland/
44Statistisches Bundesamt (2023): Statistischer Bericht, Landwirtschaftliche Betriebe, Arbeitskräfte und Berufsbildung der Betriebsleitung/Geschäftsführung 2023, https://www.destatis.de/DE/Themen/Branchen-Unternehmen/Landwirtschaft-Forstwirtschaft-Fischerei/Landwirtschaftliche-Betriebe/Publikationen/Downloads-Landwirtschaftliche-Betriebe/statistischer-bericht-arbeitskraefte-2030218239005.xlsx
45https://www.topagrar.com/betriebsleitung/news/tatsaechlich-kein-fachkraeftemangel-in-der-landwirtschaft-13550028.html
46Statistisches Bundesamt (2021): Wem gehört die Landwirtschaft? Landwirtschaftszählung 2020, https://www.giscloud.nrw.de/arcgis/apps/storymaps/stories/43e6eb55a955499eb8e624e78b38ecca
47Statistisches Bundesamt (2021): Die landwirtschaftlichen Betriebe in Deutschland, Betriebsgrößenstruktur und Ackerland, https://www.giscloud.nrw.de/arcgis/apps/storymaps/stories/5fe8efbd8c774031a276714f52d05366
48Statistisches Bundesamt (2023): Statistischer Bericht, Landwirtschaftliche Betriebe, Einkommenskombinationen, https://www.destatis.de/DE/Themen/Branchen-Unternehmen/Landwirtschaft-Forstwirtschaft-Fischerei/Landwirtschaftliche-Betriebe/Publikationen/Downloads-Landwirtschaftliche-Betriebe/statistischer-bericht-einkommenskombinationen-2030217239005.xlsx
49Statistisches Bundesamt (2023): Statistischer Bericht, Landwirtschaftliche Betriebe, Rechtsform und Erwerbscharakter, https://www.destatis.de/DE/Themen/Branchen-Unternehmen/Landwirtschaft-Forstwirtschaft-Fischerei/Landwirtschaftliche-Betriebe/Publikationen/Downloads-Landwirtschaftliche-Betriebe/statistischer-bericht-rechtsform-erwerbscharakter-2030215239005.xlsx
50Statistisches Bundesamt (2023): Statistischer Bericht, Landwirtschaftliche Betriebe, Eigentums- und Pachtverhältnisse, https://www.destatis.de/DE/Themen/Branchen-Unternehmen/Landwirtschaft-Forstwirtschaft-Fischerei/Landwirtschaftliche-Betriebe/Publikationen/Downloads-Landwirtschaftliche-Betriebe/statistischer-bericht-eigentums-pachtverhaeltnisse-2030216239005.xlsx
51Zusammenfassung eines Beispiels aus der folgenden Studie: Niens, Christine / Nack, Monika (2022): Die Lebens- und Arbeitssituation familienfremder ständig angestellter Frauen und Auszubildender in der Landwirtschaft in Deutschland, S. 38 ff., DOI: https://doi.org/10.47952/gro-publ-111
52Labournet TV (2025). Initiative Grüne Gewerke, https://de.labournet.tv/initiative-gruene-gewerke
53https://www.br.de/nachrichten/bayern/landwirt-werden-ohne-hof-immer-mehr-quereinsteiger-bauernhoefe,TwFAD8s
54Alle Zahlen aus: Statistisches Bundesamt (2023): Statistischer Bericht, Landwirtschaftliche Betriebe, Arbeitskräfte und Berufsbildung der Betriebsleitung/Geschäftsführung 2023, https://www.destatis.de/DE/Themen/Branchen-Unternehmen/Landwirtschaft-Forstwirtschaft-Fischerei/Landwirtschaftliche-Betriebe/Publikationen/Downloads-Landwirtschaftliche-Betriebe/statistischer-bericht-arbeitskraefte-2030218239005.xlsx
55https://de.statista.com/themen/11922/agrarsubventionen/#topicOverview
56Dies kann man aus zwei sich überschneidenden statistischen Zahlen ablesen: 150.000 festangestellte Landarbeiter:innen arbeiten nämlich in Betrieben über 50 ha und 160.000 in Nicht-Familienbetrieben.
57Vgl. Labournet TV (2025)
58Vgl. Niens / Nack (2022): S. 111 f.
59Niens / Nack (2022): S. 111
60Niens / Nack (2022): Einleitung
61Niens / Nack (2022) S. 6
62Niens / Nack (2022): S. 56
63Niens / Nack (2022): S. 93
64Barthel, Georg/Lluis, Conrad (2024): Für eine gute Saison: Saisonarbeit in der deutschen Landwirtschaft zwischen Prekarisierung, Regulierung und Politisierung.In: IAQ-Report(Vol. 2024, Issue 9), https://doi.org/10.17185/duepublico/82447
65https://www.servicestelle-gegen-zwangsarbeit.de/wp-content/uploads/2023/01/2022_Servicestelle_Branchenanalyse_Saisonarbeit_Pflege.pdf
66Niens / Nack (2022): S. 125
67Barthel, Claus (2024): S. 3 f.
68Vgl. Barthel, Claus (2024): S. 10 f.
69Vgl. Barthel, Claus (2024): S. 10 f.
70Vgl. Barthel, Claus (2024): S. 11
71Vgl. Barthel, Claus (2024): S. 11 ff.
72Barthel, Claus (2024): S. 12
73Labournet TV (2020: Streik der Erntearbeiter_innen in Bornheim, https://de.labournet.tv/streik-der-erntearbeiterinnen-bornheim
74https://perspektive-online.net/2020/05/feldarbeiterinnen-in-bornheim-streiken-fuer-bessere-loehne/
75Barthel, Claus (2024): S. 3
76https://igbau.de/Initiative-Faire-Landarbeit.html
77Labournet TV (2025): Initiative Grüne Gewerke, https://de.labournet.tv/initiative-gruene-gewerke
78https://gruene-gewerke.fau.org
79Barthel, Claus (2024): S. 5
80Barthel, Claus (2024): S. 14
81https://milchindustrie.de/marktdaten/toplisten-milchwirtschaft/
82Bundesinformationszentrum Landwirtschaft (2025): Milchpreis: Welchen Anteil erhalten Landwirtinnen und Landwirte?, https://www.landwirtschaft.de/wirtschaft/agrarmaerkte/markt-und-versorgung/milchpreis-welchen-anteil-erhalten-landwirtinnen-und-landwirte
83Vgl. Smith, John (2016): Imperialism in the Twenty-First Century, The Globalization of Production, Super-Exploitation, and the Crisis of Capitalism, Monthly Review Press, S. 9 ff.
85Völkisch-antisemitische Bäuer:innenbewegung, die in den 1920er Jahren als rechte Antwort auf eine schwere Agrarkrise entstand und später in Teilen in der NSDAP aufging.
86Mitschnitt: Podiumsdiskussion Zukunft der Landwirtschaft, Bäuer:innenproteste und die Lage der Beschäftigten (2025): https://gruene-gewerke.fau.org/?p=383
87Land schafft Verbindung (2024): Forderungen, 14. Januar 2024, https://www.lsv-sachsen.info/images/lsv-blog/76/2401 Forderungen LSV Deutschland.pdf
88https://www.bmel.de/SharedDocs/FAQs/DE/faq-148-gmo/FAQList.html
89Land schafft Verbindung (2024): Forderungen, 14. Januar 2024, https://www.lsv-sachsen.info/images/lsv-blog/76/2401 Forderungen LSV Deutschland.pdf
90Leitlinien des BDM 2018, https://www.bdm-verband.de/wp-content/uploads/2020/08/BDM-Leitlinien-2018_neu2020.pdf
91Landwirtschaft verbindet Deutschland e.V. (2025): Forderungspapier, https://lsvdeutschland.de/2025/03/14/forderungspapier/
92https://www.bundestag.de/dokumente/textarchiv/2024/kw26-de-erntehelfer-1008304
93DBV: Mindestlohnsteigerung belastet heimische Obst- und Gemüseerzeugung
94Engels, Friedrich (1894): Die Bäuer:innenfrage in Frankreich und Deutschland, MEW 22, S. 498 ff., https://www.marxists.org/deutsch/archiv/marx-engels/1894/11/Bäuer:innen.htm
95https://www.quarks.de/umwelt/landwirtschaft/so-sinnvoll-ist-gemuese-und-obst-vom-dach/
96Institut für Marxismus-Leninismus beim ZK der SED (1968): Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung, Kapitel VIII (1924-1929), Dietz Verlag, S. 117 f.
97Institut für Marxismus-Leninismus beim ZK der SED (1968): S. 118
98http://www.traumaland.de/html/hoernle.html
99https://www.bundesstiftung-aufarbeitung.de/de/recherche/kataloge-datenbanken/biographische-datenbanken/albert-schettkat?ID=5065
100https://www.bpb.de/shop/zeitschriften/apuz/archiv/528117/die-wandlung-des-deutschen-kommunismus-die-stalinisierung-der-kpd-in-der-weimarer-republik
101https://teachsam.de/geschichte/ges_deu_weimar_18-33/wei_parteien/kpd/wei_par_kpd_3_1_3.htm
102Tooze (2006): S. 202
103Der SPD-nahe Deutsche Landarbeiterverband hatte 1928 151.237 Mitglieder. Die gesamte RGO, die alle Branchen umfasste, erreichte zum Vergleich bis 1932 etwa 320.000 Mitglieder. https://library.fes.de/cgi-bin/ihg2pdf.pl



