Bahnbrecher von Daniel Granin

1954 veröffentlichte der sowjetische Schriftsteller Daniel Granin seinen Roman „Bahnbrecher“. Die Geschichte um den Elektroingenieur Andrej Nikolajewitsch Lobanow erweist sich als monumentales Werk über die Widersprüche und den Klassenkampf in der sozialistischen Gesellschaft.

Sozialismus – und dann wird alles gut?

Jeden Tag bringt der Kapitalismus gesetzmäßig Hunger und Elend hervor. In der derzeitigen Wirtschaftskrise landen Hunderttausende Arbeiter:innen auf der Straße. Dieses System ist eine Fessel für das Voranschreiten der Menschheit, welche den Fortschritt immer mehr behindert.

Aber was an seine Stelle setzen, um diese Probleme zu lösen? „Na den Sozialismus, is‘ doch klar!“, ist die prompte Antwort von uns Kommunist:innen. Eine Gesellschaft also, in der Staat und Wirtschaft in der Hand der Arbeiter:innen sind und der Bevölkerung dienen.

Doch oft wird vergessen, dass diese Gesellschaft auch neue Widersprüche, mit sich bringt. Ganz zu schweigen von den vielen äußeren Feind:innen und den enteigneten Kapitalist:innen, gibt es auch in der neuen Gesellschaft Kräfte, die – mal bewusst, mal unbewusst – zur Wiedererrichtung der Ausbeuterordnung streben. Das kann sich in Bürokraten- und Technokratentum, Intellektualismus, üppige Prämien und bürgerliche Lebensstile von Fabrikdirektor:innen und ähnlichem äußern.

Gegen diese Erscheinungen muss auch in der sozialistischen Gesellschaft ein Kampf entfaltet werden, der sich als Kampf des Neuen gegen das Alte, folglich also als Klassenkampf, darstellt.

Es handelt sich hierbei um ein Problem, das die Kommunistische Bewegung seit Langem beschäftigt, insbesondere mit der Restauration des Kapitalismus in der Sowjetunion, welche als Prozess seit spätestens Mitte der 1950er-Jahre endgültig eingeleitet wurde.

Ein Meisterwerk der sozialistischen Literatur

Eben in diesem Zeitraum erschien das Werk „Bahnbrecher“ des Schriftstellers Daniel Granin. Auf etwa 560 Seiten gelingt es diesem, die inneren Probleme der neuen Gesellschaft in einer beispiellosen Lebhaftigkeit zu schildern.

Sein Hauptcharakter, Andrej Nikolajewitsch Lobanow, ist ein Elektroingenieur, der sich entscheidet von der Universität in das Elektrolaboratorium einer Energiezentrale zu wechseln. Er übernimmt dessen Leitung und hat das Ziel, ein von ihm entwickeltes Radargerät zum Auffinden von Schäden in Kabeln zum Abschluss zu bringen. Dieses würde einen erheblichen Fortschritt gegenüber der gängigen Methode bedeuten, besonders in zeitlicher und damit auch gesamtwirtschaftlicher Hinsicht.

In der Belegschaft trifft er zunächst auch Skepsis – auch Lobanow ist nicht perfekt, muss sich zunächst mit den Massen vertraut machen bevor er mit ihnen zusammen wächst, so wie es Wissenschaft und Produktion im Sozialismus sollten.

Doch bald findet er, dass das Laboratorium von seinem eigentlichen Zweck, dem wissenschaftlichen Voranbringen der Wirtschaft und damit der Bevölkerung in engem Kontakt mit der Produktion, weit entfernt ist.

Vielmehr ist es zu einer Reparaturzentrale verkommen. Auf seinem Weg zur Durchsetzung seiner Pläne trifft er dann auf den erbitterten Widerstand von Bürokrat:innen und Karrierist:innen, zu denen auch sein ehemals bester Freund aus Studierendenzeiten zählt. Auf seiner Seite weiß er den Parteisekretär des Laboratoriums, Borissow, und die Kommunistische Jugendorganisation, den Komsomol.

Es entfaltet sich ein zäher Kampf zwischen Neuem und Altem, Radarsuchgerät und altem Verfahren, Sozialismus und Restauration des Kapitalismus. Währenddessen wächst Andrejs Ansehen, ebenso wie das Suchgerät, welches zu einem kollektiven Projekt statt dem eines individuellen Wissenschaftlers wird. Die Zeit gehöre den Kollektiven, nicht den Einzelpersonen, heißt es treffend an einer Stelle des Buches.

In motivierenden Reden werden die Bedeutung des Vorankommens der Wissenschaft und des Sozialismus geschildert, in hitzigen Diskussionen alle Kräfte, die zur alten Gesellschaft streben, bloßgestellt.

Granin gelingt es nicht nur, die Verzweiflung der jungen Wissenschaftler:innen und Kommunist:innen an den Bürokrat:innen, die später zu einer neuen Kapitalist:innenklasse werden sollten, zu schildern. Ebenso vermag er es, ein Thema, das die Kommunistische Bewegung noch heute beschäftigt, in all seiner Bedeutung begreifbar zu machen. Sein vierzig Kapitel starkes Buch ist ein glänzender Beweis der unfassbaren Kraft der sozialistischen Literatur. Ein Platz für Resignation in Anbetracht schier unüberwindlich scheinender Schwierigkeiten ist hier nicht vorgesehen. Im Gegenteil, es ist, als würde es uns fast siebzig Jahre in die Zukunft zwischen den Zeilen zurufen wollen: „Mag sein, dass wir vor einer historischen Niederlage stehen. Doch egal, ob der Sozialismus schon Realität ist, oder nicht: Es lohnt sich, für die neue Gesellschaft zu kämpfen!“